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«Wandzeitung» vom 3.8.2017:

Wen kratzts?

Rentnerin kratzt.

Rentnerin aus Seen kratzt: nicht sich, nicht ab, sondern Autos. Wir haben’s gelesen: Sie ist 68 und verkratzt fremde Autos. Ziemlich viele, anfänglich waren es laut Anzeigen bei der Polizei etwa 40, heute geht man von 60 und mehr aus. Was bringt einen Menschen dazu, fremdes Eigentum zu beschädigen? Die Polizei und die Staatsanwaltschaft, die sich mittlerweile mit dem Fall befasst, sind mehr oder weniger ratlos. Geständig ist die Dame nur in zwei Fällen, bei einem wurde sie in flagranti erwischt, das konnte sie schlecht leugnen. Obwohl die «Handschrift» überall dieselbe ist, gesteht sie nicht.

Mich interessieren die Motive und der Gewinn, die ein Mensch aus solchen Taten zieht. Die Staatsanwaltschaft, respektive die Forensik, vermutet so etwas wie Eifersucht oder Borderline, jedenfalls etwas eher Psychologisches. Es kann natürlich auch ein völlig anderes Motiv sein: 1. Braucht die Frau eventuell einfach Beachtung? Viele Menschen unternehmen Dinge, die ihnen die Beachtung einbringen, die ihnen in anderen Bereichen, beispielsweise im Beruf, in der Beziehung oder in der Karriere, fehlt. Beachtung, Aufmerksamkeit, eine neue Währung im Leben vieler. 2. Ist es Rache? Hat ein Automobilist die Frau bedrängt, ihr den Weg abgeschnitten, sie mit der Hupe erschreckt? Falls sie Fussgängerin ist, ihr beim Fussgängerstreifen nicht den Vortritt gewährt? 3. Ist es Neid? Verkratzt sie nur neue Autos oder nur teure, weil sie lediglich eine abgetakelte alte Karre fährt? 4. Hat ihr Sohn eine Carrosseriewerkstatt, die schlecht läuft? Verschafft sie ihm auf diese Weise Kunden? 5. Ist sie engagierte Umweltschützerin, die Autos total daneben findet? Die sich vielleicht ärgert, wenn grosse Karossen beim Bäcker Börner vorfahren um zwei Gipfeli zu holen? 6. Ist sie einfach nicht normal?

Das folgende Interview bringt etwas Klärung. «Frau S., seit wann verkratzen Sie regelmässig Autos?» – «Seit vier Monaten ungefähr.» – «Wie machen Sie das, mit welchem Werkzeug?» – «Oh, da brauche ich nichts Spezielles, ein Schlüssel oder eine Nagelfeile genügen vollkommen.» – «Wissen Sie eigentlich, dass sie vielen Leuten Ärger und hohe Unkosten verursachen?» – «Klar, das weiss ich und das freut mich auch.» – «Und da haben Sie keine Gewissensbisse?» – «Da kann ich nur lachen. Das ist meine einzige und liebste Freizeitbeschäftigung. Seit ich nicht mehr arbeite, habe ich genug Zeit, meine Vorlieben auszuleben. Was mich ärgert, ist einzig die Tatsache, dass mich jemand gesehen hat und ich deswegen zur Polizei musste.» – «Wie und warum sind sie auf die Idee gekommen, Autos zu verkratzen?» – «Was geht Sie da an? Wie kommen Sie überhaupt dazu, mir solche Fragen zu stellen? Wie komme ICH dazu, Ihnen zu antworten? Sind Sie einer der Journis, die die Leute ausfragen und provozieren, damit sie sich möglichst viele Blössen geben? Schreiben Sie doch, was Sie wollen, mit Ihnen unterhalte ich mich nicht mehr.

Alles klar?» – «Ich wohne in Seen und werde mein Auto künftig lieber in der Garage abstellen. Denn die Rentnerin läuft frei herum. Und die Liebe zu Autofahrern ist jedenfalls und warum auch immer, beschränkt.» – «Aber ihr Gewissen ist rein, sie hat es kaum benützt.»


André Bernhard,
3.8.2017, 116. Jahrgang, Nr. 215.

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