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«Wandzeitung» vom 27.6.2014:

Winterthur blüht noch:

Winterthur will weiterleben.

Heute vor 30 Jahren: Partys in WG – Konzerte und Diskussionen in der Roten Fabrik; Frisbee am Seefeldquai; Kleintheater, Lesungen und spät noch den letzten Corretto Grappa in der Züribar. Das Leben war anregend, wir alle wollten die Gesellschaft mitgestalten. Wir forderten Freiräume und demonstrierten gegen die Wohnungsnot.

Heute vor 25 Jahren: Als junge Familie hatten wir uns eine Wohnung im sozialen Familienbau erschlichen. Wir hatten vorgetäuscht, innerhalb eines Jahres zu heiraten – oder wie es beim abgelehnten Stipendiengesuch geheissen hat, unsere Beziehung zu legalisieren. Nach genau einem Jahr die Rückfrage und unser Geständnis, geschwindelt zu haben. Drei Monate später mussten wir den Platz räumen. Wir wollten uns dieser Spiessigkeit nicht beugen und nahmen selbst den Umzug in die Provinz in Kauf. Die Jungfamilienzeit ist ja nicht gerade die grosse Zeit der wilden Sprünge und wir argumentierten vor uns selbst, dass der Zug nach Zürich uns viel schneller ins urbane Zentrum bringt als das Tram von Altstetten.

Es kam aber anders. Wie ein Stein, der im Wasser immer mehr Kreise zieht, weitete sich unser Leben in Winterthur aus. Da waren die offenen Türen in unserer Hausgemeinschaft; da gründeten wir eine Kinderkrippe; da war die IG Bachtelstrasse mit Kultur und Festen; da war das andere Dorffest in Veltheim mit Konzerten, Lesungen und politischen Diskussionen und da war natürlich die Musikfestwochen, welche sogar die eingefleischten Stadtzürcher anlocken konnte. Der Zug lief nun umgekehrt von Zürich nach Winterthur.

Ich war in eine sich öffnende Stadt gezogen. An allen Ecken Aufbruch und Engagement. Die wirtschaftliche Depression lähmte nicht, sondern setzte Kreativität frei. Quartierzentren, Verkehrsberuhigungen, Afro-Pfingsten, Gaswerk, Salzhaus, Kraftfeld und Block, es entstand so viel aus Eigeninitiative. Das vielfältige Engagement wurde begrüsst und es entstand das, was heute den Charme unserer Stadt ausmacht.

Heute stehen wir wieder vor ähnlicher Herausforderung. Wir merken aber deutlich, dass dieses Mal nicht mehr auf das bewährte Prinzip gesetzt werden soll. Statt Kreativität und Eigeninitiative soll nun Ruhe und Ordnung die Wende schaffen. Man will uns weismachen, dass wir mehr Polizei brauchen, damit nur schon der Anschein von Ausgelassenheit und Unordnung eingedämmt werden kann. Ein Bier vor dem Hako oder Kraftfeld, eine ungeordnete Bestuhlung vor dem Portier liegen einfach nicht drin.

Wenn schon Ausgelassenheit, dann mit Blasmusik auf den Bänken am Oktoberfest, am Albanifest oder an den Dorfeten. Mitgestaltung und Partizipation werden zurückgebunden, weil Quartiervereine und Interessensgruppen mühsam sind.

Wir müssen uns heute dezidiert für ein offenes Winterthur einsetzen. Wir müssen Freiräume für Kreativität zulassen, damit unsere Stadt auch in 25 Jahren noch leuchtet. Winterthur hat es geschafft ein urbanes Zentrum für die ganze Region zu werden, mit einer Rolle als Agglogemeinde dürfen wir uns einfach nicht begnügen.


Christoph Baumann,
27.6.2014, 113. Jahrgang, Nr. 22.

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