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«Wandzeitung» vom 28.9.2017:

Das Märchen, das keines ist:

Das Schweizer Märchen.

Im Märchen vom Wolf und den sieben Geisslein heisst es, dass sich die Geisslein nicht an die von ihrer Mutter aufgestellte und wichtige Regel hielten. Sie öffneten während der Abwesenheit der Mutter einem Fremden die Tür und mussten nun dafür im Bauch des Wolfs büssen, bis sie vom Jäger erlöst wurden. Das ging ja noch einmal gut.

Auch bei uns könnte man von einem Märchen mit sieben weiblichen oder männlichen Geisslein reden. Leider haben diese aber keine Mutter, die ihnen Regeln aufstellt – es fehlt ihnen die "gute Kinderstube". Und so erfinden sie halt oftmals eigene Regeln, jedes für sich und nach seinem eigenen Geschmack. Verständlicherweise geht dies nicht immer gut. Es führt zu fast greifbaren Spannungen unter den Geisslein.

Eigentlich ist zwar immer ein Geisslein für ein Jahr Chef oder Chefin. Weil aber nicht jedes als Chef oder Chefin geeignet ist (so wie auch nicht jedes dazu geeignet ist, vor einem Mikrofon oder vor Leuten zu reden, ohne dabei zu Kunstpausen oder zum Stottern greifen zu müssen), gibt es in diesem Märchen oft Konflikte. Es kann dann sogar dazu führen, dass ein Geisslein nicht mehr in dieser Familie leben will und auszieht. Leider sind es aber oft die falschen, die gehen. Andere lassen es sich noch lange wohlergehen und geniessen unbekümmert das bunte Treiben. Sie bleiben auch dann noch, wenn es sonnenklar ist, dass andere, künftige Geisslein besser in diese Stube passen würden.

Kommt es aber zu einem Wechsel in diesem Geissenstall, warten meist viele andere darauf, eingelassen zu werden. Oft ist es für diese nicht ganz einfach, weil jedes der Wartenden angeblich am besten hineinpassen würde. Dann wird geschubst und gedrängelt, hofiert und kokettiert. Alle haben dann ihre Helferinnen und Helfer, die sich um den Einlass "ihres" künftigen Geissleins bemühen. Sie bringen dann Argumente, die selbst altgediente Märchenerzähler nicht verstehen können.

Wer spielt denn den bösen Wolf in diesem Märchen? Oft sind es die verschiedenen Anhänger der Geisslein, die unter sich heillos zerstritten sind. Dann machen diese die Geisslein anderer Anhänger schlecht, was dann wieder zu Streitereien in diesem Märchenland führt. Leider spielt aber sehr oft auch das Ausland in diesem Schweizer Märchen eine bedeutende, längst nicht immer geschätzte Rolle. Im Stall der Geisslein und bei deren Anhängern herrscht dann wieder ein grosses Durcheinander, bis niemand mehr den Überblick hat.

Wer soll nun aber doch noch die fehlende Mutter spielen? Im Prinzip sind es die Anhänger "ihres" Geissleins oder gleich mehrerer davon. Sie sollten dafür schauen, dass alles seine Ordnung hat und "ihre" Geisslein einigermassen eine Linie einhalten. Kommt es aber zu allzugrossen Meinungsverschiedenheiten, rufen diese Anhänger oder jene anderer Geisslein das ganzen Publikum dazu auf, die eigene Meinung zu bekunden. Im Märchen heisst das dann Demokratie. Auch wenn es meist kompliziert ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, gebe ich diese dann ab. Zuvor werden jeweils noch Erklärungen abgegeben.

Es wäre ein märchenhafter Schluss, wenn sich jeweils das ganze Publikum daran beteiligen würde.

 


Walter Fuchs,
28.9.2017, 116. Jahrgang, Nr. 271.

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