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«Wandzeitung» vom 4.8.2014:

Sparen bei der Verkehrsberuhigung führt zur Verdichtung:

Verdichtung? Rückzug ins Private.

Manchmal – öfters sogar, habe ich das Gefühl, in einem kleinen Paradies zu leben. Ich wandle durch den alten Garten, finde eine letzte Aprikose zwischen den Blättern, pflücke ein paar Stachelbeeren vom Strauch, zupfe eine Brombeere zwischen den Dornen hervor und werfe einen Blick zu den Himbeeren – vielleicht leuchtet es ja dunkelrot zwischen den Blättern.

Der Spaziergang führt mich rund um das alte Arbeiterhaus, welches 1898 von einer Handwerkergemeinschaft erbaut wurde. Negerdörfli wurde unsere Siedlung damals genannt und lag weit ausserhalb Veltheims an der Lettenstrasse. Dies weiss ich aus Erzählungen und von Gesprächen mit Nachbarn. Mehr als dreissig Jahre wohne ich hier, kenne viele Menschen und betrachte die Veränderungen. Ich freue mich, wenn Kinder geboren werden, die kleinen Knirpse ein paar Jahre später stolz zur Schule schreiten.

Ich betrachte den Zeitenwandel, wenn Balkone gebaut und Bäume gefällt werden, um Licht zu verschaffen. Die Menschen hier kennen sich, tauschen im Quartierladen aus oder halten einen Schwatz auf dem Trottoir. Ja, ich gehe so weit, dass ich ein Feierabendbänkli vors Haus gestellt habe, um in der Abendsonne das Treiben auf der Strasse zu betrachten – Idylle pur.

Wenn nicht der wachsende Durchgangsverkehr wäre, in der Tempo 30 Zone. Es geht nicht um den Feierabendverkehr – nein, es geht um eine grundsätzliche verkehrsplanerische Fehlleistung. Einerseits wurde mit ein paar Tafeln auf der breiten Strasse Tempo 30 markiert, anderseits aber mit einer Ampel eine garantierte Einfahrt in die Hauptstrasse, respektive auf den Schleichweg Bachtelstrasse – Rosenberg geschaffen. Vor Jahren schon.

Abkürzung pur. Und weil die Stadt ja jetzt spart, verschiebt sie die geplante Verkehrsberuhigung Oberfeld ein paar Jahre nach hinten – je nach politischer Präferenz wohl auf den Sankt Nimmerleinstag. Was beibt? Der zunehmende Durchgangsverkehr. Was kommt? Der zunehmende Lärm. Die versiegenden Gespräche der Quartierbewohner auf dem Trottoir. Der starr vorausgerichtete Blick der Fussgänerinnen, wenn sich die Blechkisten mit laufendem Motor vor dem Rotlicht stauen und die Abgase in die Nase stinken. Die fehlenden Kinder, weil die Strasse für sie zu gefährlich wird. Die vereinsamten Alten, die sich nicht mehr aus dem Haus getrauen.

Der zunehmende Verkehr in den Quartieren führt zu deren menschlicher Entleerung. Zu einem Rückzug ins Private. Zum Bedarf nach mehr persönlichem Raum.

Fühle ich mich im Öffentlichen nicht wohl und geschützt, kompensiere ich im Privaten. Werde ich als Fussgängerin von der Strasse vertrieben, suche ich den Garten. Stinkt und lärmt es dann auch dort, werde ich den Garten überbauen, damit ich innerhalb meiner vier Wände und 150 Quadratmetern Nutzfläche Platz finde. Anders gesagt, die fehlende Verkehrsberuhigung, noch besser Verkehrsentleerung der Quartiere ist mit ein Grund für die zunehmende Verdichtung, wie Heiner Dübi sie am 19. Juli hier so schön beschrieben hat.


Marlies Bänziger,
4.8.2014, 113. Jahrgang, Nr. 60.

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