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«Wandzeitung» vom 26.5.2017:

Altbekannte Neuigkeiten aus der Ostmark:

Kontinuität des Schreckens.

Die Österreicher, als die geborenen Opportunisten, sind Duckmäuser, sagte er jetzt, und sie leben vom Vertuschen und Vergessen. Keine noch so grosse politische Scheusslichkeit, die sie nicht schon eine Woche darauf vergessen haben, kein noch so grosses Verbrechen. Der Österreicher ist ja geradezu der geborene Verbrechendecker, sagte Reger, der Österreicher deckt jedes Verbrechen und sei es das gemeinste, denn er ist ja, wie gesagt, «der geborene opportunistische Duckmäuser.» Thomas Bernhard.

Eine unlängst publizierte Studie über die Wiener Kinder- und Jugendpsychiatrie nach 1945 enthüllte gravierende Missstände in der neurologischen Abteilung am Rosenhügel und im Pavillon 15 am Steinhof. Da ist die Rede von Zwangssterilisationen, Medikamententests, Netzbetten, Zwangsjacken, Fesseln, vom Personal zugedrehten Wasserhähnen, so dass die Patienten in ihrer Not aus den Toiletten tranken, Experimenten mit Gehirnen meist an «Lungenentzündung» verstorbener Kinder, von einem System des Schreckens. Aufgebaut worden war dieses System von Walther Birkmayer, Heinrich Gross und Andreas Rett. Birkmayer, der nach der Machtergreifung der Nazis für die «Säuberung» unter der Ärzteschaft gesorgt hatte und Hauptstellenleiter des Rassenpolitischen Amts der NSDAP geworden war, war nach dem Krieg bald rehabilitiert worden und zum Vorstand der Neurologischen Abteilung in Wien-Lainz und Leiter des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Neurochemie avanciert. Gross, der als NS-Euthanasiearzt systematisch Kinder für seine Gehirnforschungen ermordet hatte, bekam als Leiter des eigens für ihn gegründeten Ludwig-Boltzmann-Instituts zur Erforschung der Missbildungen des Nervensystems bis in die 70er-Jahre «Gehirnmaterial» geliefert; jahrelang weigerte sich die Staatsanwaltschaft, ihn wegen Mordes anzuklagen, und als es 2000 endlich zur Verhandlung kommen sollte, wurde Gross für nicht vernehmungsfähig erklärt und die Verhandlung auf unbestimmte Zeit aufgeschoben. Rett wiederum, der seine eigene Mitgliedschaft in HJ und NSDAP stets geleugnet hatte, führte jahrzehntelang Zwangssterilisationen an jungen Frauen durch. Zahlreichen namhaften nationalsozialistischen Funktionären gelang es, nach dem Krieg im öffentlichen Dienst wieder Fuss zu fassen und in Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens der Stadt Wien Karriere zu machen.

In «Die Ursache» erzählt Bernhard davon, wie das NS-Schülerheim, in dem er untergebracht war, in das streng katholische Johanneum verwandelt wurde. Auf der grauen Wandfläche war noch der auffallend weisse Fleck zu sehen, auf dem das Hitlerbild gehangen hatte, und ebendort hing jetzt ein grosses Kruzifix. Symbol für den Fortbestand des nationalsozialistischen Gedankenguts, für die von Bernhard postulierte Identität von Nationalsozialismus und Katholizismus. Freilich spart er auch nicht mit Attacken auf die Linken: In «Heldenplatz» bezichtigt er die Sozialisten, «Pseudosozialisten», wie er sie nennt, Wegbereiter des neuen Nationalsozialismus zu sein. Österreicher sind Grossmeister des Vergessens. Wie heisst es in der «Fledermaus?» Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.


Herbert Danzer,
26.5.2017, 116. Jahrgang, Nr. 146.

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