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«Wandzeitung» vom 12.3.2017:

Verwandtschaftsbesuch in Chile:

Neue Blicke aufs Mutterland.

Diesen Januar und Februar verbrachte ich mehrheitlich in Chile bei meinen Verwandten. Es war schön, mit meinen kleinen Nichten zu spielen und weniger schön, Spannungen unter den Familienmitgliedern wahrzunehmen. Ich hatte das Privileg, mich von einer sehr kranken Tante zu verabschieden. Ich erlebte die Zeit der Waldbrände im Zentrum und im Süden Chiles, sie wollten nicht aufhören. Kaum war ein Brand gelöscht, begann es an einem anderen Ort zu lodern. Viel wurde spekuliert über die Ursache beziehungsweise Verursacher der Brände. Über Chiles Präsidentin Michelle Bachelet wurde viel gewettert. Sie habe zu lange gewartet, bis sie reagierte. Kritisiert wurde, dass sie den französischen Präsidenten François Hollande durch ein Museum führte, während in vielen Gegenden im Land Ausnahmezustand war. Sauer stösst auch auf, dass sie zuerst Hilfe aus dem Ausland in Anspruch nahm, statt Sofortmassnahmen aus der Staatskasse zu finanzieren. Die Beliebtheitswerte von Bachelet sanken auf einen Tiefpunkt und das chilenische Volk schämte sich fremd. Bachelet habe sich nicht bedankt für die Entsendung eines Riesenflugzeuges nach Chile, das eine in den USA lebende und mit einem Millionär verheiratete Chilenin organisiert hatte. Statt das Flugzeug sofort in Betrieb zu nehmen, wollte sie zuerst geklärt haben, wer für die Bezahlung des Wassers aufkomme, das über die Wälder abgelassen werden sollte.

Früher war ich den Chilenen gegenüber, meine Mutter stammte aus diesem Andenland, sehr kritisch eingestellt. Heute begegne ich ihnen mit einer Mischung aus Distanz und Neugier. Irgendwie hat es mich amüsiert, dass viele Chilenen Immigranten aus Ecuador, Kolumbien, Haiti, aus der Dominikanischen Republik und anderen lateinamerikanischen Ländern mit Argwohn und Misstrauen beäugen. Chile hinkt der Welt irgendwie hintendrein. Lateinamerika ist ja sozusagen eine Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, die derselben Religion angehören und zudem alle, ausser den Brasilianern, dieselbe Sprache sprechen. Und trotzdem wäre es den Chilenen wohl lieber, wenn ihre Gesellschaft homogen geblieben wäre, wie sie es noch vor fünf Jahren war. Dabei habe ich oft beobachtet, wie ein strahlender Kellner aus einem Karibikstaat gute Laune an den Tisch von Chilenen brachte, die in ihrer verhaltenen, distanzierten Art eher uns ähneln als jemandem von der kolumbianischen Karibikküste.

Da der Grossteil meiner Familie in Santiago de Chile lebt, verbrachte ich viel Zeit in dieser von den Voranden eingekesselten Stadt, die ich früher vor allem wegen ihrer schlechten Luft nicht ausstehen konnte. Zum ersten Mal besuchte ich ihre ältesten Stadtteile Yungay und Brasil und war begeistert. Auch das Menschenrechts-Museum «Museo de la Memoria», wo Chiles Militärdiktatur-Geschichte aufgearbeitet ist, fand ich grossartig. Nun habe ich ein vollständigeres Bild von Santiago. Zweimal war ich in Valparaíso, einer bunten, einzigartigen Hafenstadt nur eine eineinhalbstündige Busfahrt nördlich von Santiago entfernt. Auf dieser Reise war ich mir meiner chilenischen Wurzeln bewusst und zugleich erlebte ich Chile mit den Augen einer Fremden. Und war sehr angetan.


Rosmarie Schoop,
12.3.2017, 116. Jahrgang, Nr. 71.

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