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«Wandzeitung» vom 15.6.2017:

Gespenster der Petersburger Museumsnacht:

Sehnsucht nach dem Staub der Vitrinen.

Vermissen Sie manchmal auch die alten, muffigen Museen? Diese dunklen Paläste, die man noch mit Ehrfurcht betritt, ohne am Eingang «pädagogisch richtig» abgeholt zu werden. Wo es nur barsche Antworten und keine netten Fragen gibt und man mit zerknittertem Billet in der Hand Rüstungen, ausgestopfte Wiesel, Kanonen oder vergraute Kostüme hinter Glas bestaunt.

Die ausgestopften Wiesel sind wohl bald ausgerottet, im Westen zumindest, wo man auf Museumspädagogik setzt und vom Greis bis hin zum Sprössling allen alles richtig erklärt – natürlich ohne auf alles zu antworten, und manchmal überhaupt ohne zu antworten. Und wenn man von all den Fragezeichen genug hat, dann möchte man es wieder mal wissen und sehnt sich nach einem «Lexikon-Museum», wo alles richtig angeschrieben ist. In solchen Momenten wäre Russland das Richtige – in St. Petersburg gibt es noch dutzende solcher Museen. Eines liebe ich besonders – gerade weil dort etwas falsch angeschrieben ist, und zwar mit einer solchen Richtigkeit, dass es eine wahre Freude ist! Im Zoologischen Museum, wo in der Garderobe ganz hinten ein trotziges Lenin-Porträt hängt und in der Eiszeit-Abteilung ein konserviertes Mammut-Baby (Mammuthus primigenius) liegt, das alle RussInnen kennen und lieben, gehört auch ein ausgestopfter Berner Sennenhund zum Inventar. Doch während die Dogge, der Dobermann und der Spitz alle richtig angeschrieben sind, muss er hier als «Bernhardiner» sein elendiges Leben fristen. Ich besuche ihn bisweilen zum Trost (und um mich zu ergötzen).

Ein weiteres Juwel der «Gespenster-Museen» ist das Arktis-Antarktis-Museum, das in einer ehemaligen Kirche untergebracht ist. Diesen Tempel betrat ich kürzlich während der Museumsnacht, und ich wurde nicht enttäuscht. In alten Vitrinen mit gekrümmtem Glas rotten hier die Schätze vor sich hin. Nein, nein, sie rotten nicht, dieses Museum ist nur leicht angestaubt und wird mit viel Liebe gepflegt.

Gleich hinter der Kasse dient Mischka, der riesige Eisbär mit erhobener Tatze als Kulisse für den obligaten Selfy-click. Dahinter folgen weitere ausgestopfte Wesen aus der arktischen Welt – Pinguine, Rentiere ... Im Zentrum des ehemaligen Kirchenschiffs steht wie ein Altar ein Relief des Nordpols. Es ist dem stalinistischen Gott des Fortschritts geweiht. 1937 wurde das Museum eröffnet, um die Trophäen der Forscher zu zeigen, die der Diktator mit seinem Ehrgeiz ins Eis gejagt hatte. Die erste sowjetische Polarstation, der erste Transpolarflug, der erste Atomeisbrecher – Rekorde waren gefragt.

Doch heute ist das Museum freundlicher, in der Museumsnacht tanzt eine Folkloregruppe der nordischen Völker. Die röhrenden Stimmen der zierlichen Frauen lassen einen schaudern – die Geister aus dem Eis umschwirren die Welt von Technik und Ratio. Doch sie sollen hier keine Ruhe finden und dem einzig wahren, dem heiligen Geist weichen.

Denn das Museum soll nun wieder Kirche werden – genauso ungefragt wie damals. Die Heiligtümer der Eisfahrer und die lieben Tiere aus der Tundra sollen in fremde Magazine gesperrt werden – was für eine Entweihung!


Eugen von Arb,
15.6.2017, 116. Jahrgang, Nr. 166.

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