Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 15.10.2017:

Wer dem Menschen begegnet, versteht die Welt:

Trotzdem reisen.

Kürzlich traf ich mich hier in Petersburg mit einer Schweizer Reisegruppe, die etwas über mein Leben als Journalist in Russland wissen wollten. Ich fand das eine gute Idee, und tatsächlich ergab sich eine angeregte Diskussion. Dabei spürte ich das Bedürfnis der Leute, die aus verschiedenen Generationen und Berufsgebieten stammten, die Wahrheit über Russland zu hören – ein verständlicher Wunsch mitten in der Hysterie um Fake-News in Ost und West.

Natürlich konnte ich nur von meiner eigenen Wahrheit erzählen, und auch nach einem zweistündigen intensiven Gespräch blieben noch viele Fragen offen, auf die auch ich keine Antwort wusste oder auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Solche Begegnungen sind immer wieder ungemein befriedigend für mich, weil offene Menschen gekommen sind, um sich dieses Land mit eigenen Augen anzuschauen. Als Journalist helfen sie mir, Distanz zu gewinnen und meine alltägliche "Übersicht der Dinge" zu relativieren. Dass reisen bildet, ist eigentlich ein alter Hut. Dass aber echtes Reisen mit echtem Hinschauen, echtem Interesse und echten menschlichen Begegnungen "Friedensarbeit" ist, wird in der Regel unterschätzt. Jedes Mal kommt es zur sensationellen Erkenntnis, dass "auf der anderen Seite" auch bloss Menschen leben. Und sie fegt alle künstlich geschürten Ängste und Vorurteile hinweg.

Russland-Reisende aus dem Westen gehören immer noch zu einer absoluten Minderheit. Aber umgekehrt ist es ja nicht anders – nur 17 Prozent aller Russen besitzt überhaupt einen Reisepass. Und von denen braucht ihn der Grossteil wie überall für "Sun-Fun-Badereisen" zum "Abschalten". Dabei wären echte Begegnungen zwischen Ost und West so dringend nötig, um die neue Mauer aus Ängsten und Drohungen, die gerade am entstehen ist, zu durchlöchern. Gerade jetzt im Internet-Zeitalter sind reale Begegnungen um so wichtiger geworden.

Ich erinnere mich an die faszinierenden Erzählungen meiner Patentante über ihre DDR-Reisen in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Offiziell nahm sie damals als Psychologin an Fach-Kongressen in Ost-Berlin teil. Dabei bemühte sie sich aber immer auch, hinter die Kulissen zu schauen und den Menschen zu begegnen – obwohl solche Begegnungen damals um vieles schwieriger waren.

Schon damals gab es von Seiten der "kalten Krieger" Boykott-Aufrufe – zum Beispiel während der Moskauer Olympiade von 1980. Ähnliche Stimmen raten heute vom Besuch der Fussball-WM 2018 in Russland ab. Ich kann zwar überhaupt nichts mit Fussball anfangen und weiss natürlich, dass die WM dafür benutzt wird, um vor der Weltöffentlichkeit eine Show aufzuführen, die viele Probleme überspielt und verdeckt.

Andererseits verstehe ich aber, dass der Sport viele wertvolle menschliche Brücken schafft und sage deshalb: Kommen Sie an die WM, hängen Sie noch ein paar Tage dran und schauen Sie sich dieses schöne und erstaunliche Land mit seinen grossartigen Menschen an. Reisen Sie – trotzdem.

 

 


Eugen von Arb,
15.10.2017, 116. Jahrgang, Nr. 288.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.