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«Wandzeitung» vom 28.1.2018:

Es ist ein Problem, dass mich schon lange beschäftigt:

Ich hätte gerne Faust gelesen.

Ich hätte gerne Faust gelesen. Oder ein anderer Klassiker, sei er von Goethe, Schiller oder Brecht. Doch schon bei Dürrenmatt oder Kafka mach ich schlapp.

Es ist ein Problem, dass mich schon lange beschäftigt. Ich habe viel probiert und dennoch ist es mir bisher nicht gelungen. Die Hoffnung habe ich schon lange aufgegeben. Trotz grosser Liebe zu den Büchern werde ich es wohl nicht mehr schaffen. Es ist mir selber unverständlich, doch kann ich kein solches Buch zu Ende zu bringen. Ja, ich schaff es kaum je über Seite drei hinaus.

Stellen Sie sich vor, wie toll es wäre, in der eigenen Bibliothek erlesene Klassiker zu rezitieren. Im Rat könnte ich mit Zitaten brillieren, Gespräche liessen sich so problemlos philosophisch intensivieren. Keiner Diskussion bliebe dann ich mehr fern. Doch ausser detektivischem Wissen und rosa Brille habe ich auf diesem Gebiet leider nichts mehr mitzubringen.

Es liegt ganz sicher nicht an fehlendem Interesse oder Wille. Es ist einfach wie verhext ... Kaum sind die ersten Sätze verschlungen, tragen mich die Gedanken fort in ferne Wälder, zu Elfen, Zwergen oder Riesen.

Hoch zu Pferd reite ich durch Kriege, auf allen Gipfeln feiere ich Siege. Ich bin schon über alle Meere gesegelt in einer alten Barke, habe die breitesten Flüsse überwunden. Mit wilden Tieren feiere ich ausgelassene Feste, fliege mit Drachen um die Wette. Ich ziehe durch die Wüste und durch Wälder. Die fernsten Länder habe ich schon bereist. Dabei treffe ich auf alte Krieger und junge Ritter. Die wildesten Abenteuer erlebe ich in dieser Zeit. Ach davon hätte ich noch viel zu erzählen ...

Doch irgendwann ist es immer soweit. Ich erwache aus meinen Träumen, nur um frustriert festzustellen: Es ist mir wieder nicht gelungen eines dieser Bücher zu verschlingen. Was nützen mir bloss alle meine Heldentaten? Was helfen mir Abenteuer und Siege, wenn mir doch eines nicht gelingen will?

Sie können nun natürlich darüber lachen oder sich über den tieferen Sinn dieses Textes Gedanken machen. Doch die Not für mich ist gross. Denn ich bin mir sicher, es wird mir nie gelingen, einen Text zu schreiben wie ein Schiller, ein Goethe oder Brecht. Auch mit Kafka oder Dürrenmatt kann ich mich wohl nicht messen.

Ja ich kann wohl schon froh sein, eine Geschichte fertig zu bringen ohne dabei abzuschweifen ... Doch so bleibt mir wenigstens ein Trost, ist es mir nun doch gelungen, diese Sorge Ihnen hier kundzutun.

 

 


Maria Sorgo,
28.1.2018, 117. Jahrgang, Nr. 28.

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