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«Wandzeitung» vom 9.5.2018:

EIN SATZ:

Echos Tod.

Ich bin eine Hexe und tritt den Strichern in die Eier. VIAGRA, Rapperin.

Betschwestern und -brüder weglesen! Es geht um Kunst, die bekannlich jeder moralischen Bewertung entzogen ist. Und allein durch die Schönheit der Form, die sich von jeder andern Äusserung abhebt, besticht. Das hat bisher kein Zeitalter begriffen. Den Text schreibe ich in der Walpurgisnacht, direkt vom Besen, auf dem ich in der kühlen, nieselregnerischen Nacht über die kleine fast grosse Stadt fliege, die wir alle gut kennen.

Rap als Kunstform ist niederträchtig, schmutzig, homophob, frauenverachtend, rassistisch. Er lebt davon, die entsprechenden Äusserungen in eine poetische Form zu kleiden. Moralischen Kategorien entzieht er sich wie jede Kunstform a priori. Und er hat Erfolg. Die Jugend liebt ihn. Weil sie damit unbewusst den tödlichen Schleier der Korrektheit entlarvt. Zeit also, dass eine Frau, eine Fotze, die Welt des Raps erobert und symbolisch die Achillesferse des Machos, seine Testikel angreift. Nennen wir sie – die Satire darf alles – Viagra. Und auch sie darf alles und darüber singen: in die Eier treten, vögeln, wen sie immer will und wie oft auch immer. Auch ihre Partnerin, die wir meinetwegen Vagina nennen wollen. Einziger zulässiger Einwand dagegen, dass der Text allenfalls schlechte Kunst ist. Er muss aber weder verboten, überstrichen, in endlosen Talkshows zerredet noch totgeschwiegen werden. Er darf aber zerredet und totgeschwiegen werden, sogar überstrichen, nicht aber verboten.

In den Kontext des moralisch korrekten Verbietens gehört es, dass der Echo abgeschafft wurde und durch eine andere selbstreferenzielle Beweihräucherung musikalischen Erfolgs ersetzt werden wird. Diesmal mit «Textkontrolle». Nicht Kunst muss der Songtext sein, sondern keine der auch wie immer gearteten Befindlichkeiten stören, eine Quadratur des Zirkels. Auch der Literaturnobelpreis, der eine ähnliche, wenn auch globale Funktion bei den nicht gesungenen Texten einnimmt. Mit der Ausnahme des vorletztjährigen Preisträgers Bob Dylan. Damit hat der Nobelpreis seinen Untergang eingeleitet. Die Vorwürfe der sexuellen Übergriffe sind nicht die Ursache, dass er vielleicht auch abgeschafft wird, sondern die Folge der Konzession. Mit der Demokratisierung des Preises wurde gleichzeitig seine elitäre Konstruktion in Frage gestellt. Das entspricht der Zeit, die schon länger alles Elitäre in Frage stellt, ohne zu merken, dass damit wesentliche Dynamiken der Hierarchie abflachen. Noch vor Jahrzehnten konnten wir den Nobelpreis nur deshalb als antiquiert betrachten, weil er einer Fülle von Texten der Neuzeit keine Reverenz erwies. Diese Reibung belebte ihn und den Widerstand. Mit der Öffnung der Tür in die Popkultur war diese nivelliert und sein Untergang besiegelt.

Lassen wir die Kunst also Kunst sein, so hierarchisch oder provokativ wie sie will. Es besteht kein Zwang, sie zu Gemüte zu führen, wenn sie nicht gefällt. Wenn wir aber keine sterile, nur dem engsten Konsens verpflichtete, sprich totlangweilige Gesellschaft wollen, müssen wir die Diskrepanzen aushalten. Gegen die Verletzungen kollektiver Beleidigungen und Respektlosigkeiten hilft Resilienz in Form von Zuversicht. Persönliche Anwürfe brauchen wir selbstverständlich nicht hinzunehmen.


Adrian Ramsauer,
9.5.2018, 117. Jahrgang, Nr. 129.

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