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«Wandzeitung» vom 21.10.2014:

Urteilt die Welt nach dem Schein?

Lookism.

Am 17. Mai 2014 sang die junge irische Mezzosopranistin Tara Erraught in Glyndebourne den Octavian in der Oper «Der Rosenkavalier». Die britischen Musikkritiker hatten nichts an ihrer Stimme auszusetzen, sehr wohl aber an ihrer Figur. Von «chubby bundle of puppy-fat» war in der Financial Times die Rede, Attribute wie «stocky» (The Guardian), «dumpy» (The Independent) oder «unbelievable, unsightly and unappealing» (The Times) wurden der Sängerin zugeschrieben.

Der mediale Wirbel um Erraughts Aussehen dürfte ihrer Karriere zum Glück nicht geschadet haben. Älteren, im Gegensatz zu ihr tatsächlich schwergewichtigen Kolleginnen wie Jane Eaglen oder Alessandra Marc erging es anders, ihre Engagements wurden spärlicher und blieben schliesslich ganz aus, so dass ihnen nur der Ausweg in die Lehrtätigkeit blieb, wenn sie es nicht wie Deborah Voigt, die 2004 ihre Rolle als Ariadne in London verlor, weil sie nicht in das vom Regisseur vorgesehene Cocktailkleidchen passte, vorzogen, sich einer riskanten Magenverkleinerungsoperation zu unterziehen.

Opernsängerinnen und -sänger haben heutzutage Models zu gleichen, und das tun Stars wie Elina Garanca, Miah Persson oder Jonas Kaufmann ja auch. Auch in anderen Bereichen des Showbusiness, z.B. im Hochleistungssport, treten ähnliche Phänomene auf. Während laut jüngster FORBES-Liste der bestbezahlten Sportlerinnen und Sportler die Tennisweltranglistenerste Serena Williams ein ausgewogenes Verhältnis von Preisgeldern und Werbeeinnahmen aufweist, jeweils 11 Millionen $, scheffelte Marija Scharapowa bei «lediglich» 2,4 Millionen $ Gewinneinkünften satte 22 Millionen $ Werbegelder. Ein Indiz dafür, dass Attraktivität heute wichtiger ist als andere Eigenschaften?

Parallel zum Siegeszug der puritanischen Leistungsethik setzte sich auch das westliche Schlankheitsideal, das Dicksein mit Trägheit und Schlankheit mit Erfolg und Leistungsbereitschaft gleichsetzte, immer mehr durch. Und da die Menschen dazu neigen, ästhetische mit ethischen Kategorien zu vermischen, also meinen, was schön sei, sei auch gut – Homers Thersites lässt grüssen! – geniessen visuell Attraktive, die dem gängigen Schönheitsideal eher entsprechen, viele Vorteile im täglichen Leben, während unattraktive Menschen Diskriminierungen aller Arten erdulden. Wie Studien nachwiesen, werden sie allein aufgrund ihres Aussehens als weniger sozial, altruistisch und intelligent beurteilt und verdienen auch im Schnitt weniger als die Attraktiven.

Kein Wunder, dass Unternehmen boomen, die mit kalorienarmen Nahrungsmitteln und fettabbauenden Sportgeräten Fitness, Schönheit und ewige Jugend versprechen, und dass die Geschäfte der Schönheitschirurgen florieren.

Hüten wir uns vor der Diskriminierung unserer Mitmenschen aufgrund ihres Aussehens! Der Anschein täuscht nicht selten. Aus dem «stummen Ochsen», wie Mitschüler den mit einer riesigen Leibesfülle ausgestatteten Thomas von Aquin nannten, wurde einer der bedeutendsten katholischen Kirchenlehrer der Geschichte.


Herbert Danzer,
21.10.2014, 113. Jahrgang, Nr. 138.

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