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«Wandzeitung» vom 28.8.2014:

Schon wieder Stimmrecht:

One man, one vote.

Im vergangenen Mai schaffte es der Chefredaktor der «ZEIT» kurz in die Schlagzeilen: Der italienisch-deutsche Doppelbürger hatte zwei Stimmen fürs Europaparlament abgegeben. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Gefängnis. Wie ist das bei nationalen Wahlen? Niemand – keine Partei und kein Gesetz – verlangt, dass Doppelbürger sich nur in einem einzigen Land an Wahlen beteiligen. Zwei Pässe zu haben ist cool, für Staatsoberhäupter, Steuerflüchtlinge, «richtige Verbrecher» und Normalbürger.

Im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, im Kampf Irlands um die Unabhängigkeit und die Beschneidung der Privilegien der englischen Herrscherklasse, in den aufstrebenden Nationen Afrikas und Asiens – überall in der Welt, wo es darum ging, das allgemeine Wahlrecht einzufordern, erklang der Ruf «one man – one vote». Hierzulande haben die Schweizer Mannen erst 1971 eingesehen, dass «Ein Mann – eine Stimme» nicht geschlechtsspezifisch zu verstehen ist, sondern dass damit auch die politischen Rechte der Frau gemeint sein können. Diese demokratische Forderung war jedoch schon immer Kernstück des Genossenschaftsrechts mit seiner soliden Tradition in der Schweiz. Seit ihrer zivilrechtlichen Emanzipation 1882 können unverheiratete Frauen in Genossenschaften mitbestimmen und auch die Emanzipation verheirateter Genossenschafterinnen liess nicht so lange auf sich warten, wie ihre Gleichstellung als Stimmbürgerinnen. Eine Stimme für alle setzt die Genossenschaft von undemokratischen gesellschaftsrechtlichen Konstrukten wie der Aktiengesellschaft ab. Dort gilt: «one dollar – one vote».

Woher kommt es wohl, dass das genossenschaftliche Prinzip der einen Stimme für Jede und Jeden nicht kräftig ins Staatsrecht ausstrahlt? Für Schweizer StimmbürgerInnen galt lange Zeit das Territorialprinzip: Wählen und abstimmen konnte nur, wer hier Wohnsitz hatte. Unzufrieden mit ihrer Kastration als Stimmbürger waren Ende der fünziger Jahre eine kleine Gruppe junger Diplomaten. Sie stiessen sich daran, dass sie, von der Regierung abgeordnet, ihr Land zwar überall in der Welt repräsentieren durften, aber im Heimatland nichts zu sagen hatten. Die Forderung nach dem Stimmrecht für Diplomaten und Bundespersonal im Ausland nahm das Parlament tatsächlich auf und weitete es nach und nach aus in ein Recht für alle AuslandschweizerInnen. Dank Briefwahl können diese heute mitbestimmen, was hier politisch laufen soll, aber auch, als DoppelbürgerInnen, politisch auf zwei Hochzeiten tanzen. In dieser Frage ist die Schweiz für einmal kein Sonderfall. Dass nur wenige das doppelte Stimmrecht ausüben, steht auf einem anderen Blatt.

Den Hundertausenden von Eingewanderten ohne Schweizer Pass, die hier wohnen, arbeiten und Steuern zahlen, das Stimmrecht zu gewähren, ist hingegen nicht mehrheitsfähig. Die meisten von ihnen können wenigstens im Herkunftsland ihren politischen Einfluss geltend machen. Wie wäre es, wenn wir, getreu dem Grundsatz «one man – one vote», denjenigen unter ihnen, die kein Stimmrecht im Heimatland haben, den Flüchtlingen und Sans-papiers also, mit dem Stimmrecht eine Stimme gäben?

 

 

 


Yvonne Lenzlinger,
28.8.2014, 113. Jahrgang, Nr. 84.

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