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«Wandzeitung» vom 28.12.2014:

Sagen, wozu man Lust hat:

Fragen an die Experten.

Das Jahr, in dem Winterthur 750 Jahre Stadtrecht mit ungezählten Anlässen für ganz unterschiedliche Zielgruppen feierte, geht zu Ende. Ein fulminantes Schlussbouquet bot die zhaw mit dem Winterthur Urban Forum zum Thema «Städte der Zukunft. Städte der Nähe». Drei Tage lang traten Fachleute von internationalem Renommee auf und erklärten, wie sie die Stadt gestern, heute und morgen definieren. Das stärkste Medienecho erzeugte Peter Sloterdijk mit seinen als Philosophie getarnten Banalitäten. Mich hingegen faszinierte das Bekenntnis eines anderen Experten, Harald Welzer: «Wir (Experten) haben das Privileg über Dinge sprechen zu dürfen, von denen wir nichts verstehen». Zum Beweis bot er einen Kollegen auf, der in Berlin ein Projekt von Urban Gardening angestossen hatte, ohne einen blassen Schimmer von Gartenarbeit zu haben, wie er selbst sagte. Welzer bewies in seinem geistreichen Referat, dass er durchaus etwas von der Materie versteht, über die er sprach. Mich verfolgt jedoch seither sein Spruch vom Privileg der Experten.

Unter den zwanzig Hauptreferenten, denen am Urban Forum eine Redezeit von mindestens einer halben Stunde zustand, war eine einzige Frau. Unter den Referentinnen mit kurzer Redezeit, den Moderatoren, Workshop-Leiterinnen, Organisatoren und Helfenden sowie in der Zuhörerschaft waren die Frauen gut vertreten. Vier Damen bekamen am Schluss sogar Blumen: diejenigen Frauen, welche die organisatorische Knochenarbeit geleistet hatten und dafür sorgten, dass alles klappte und sich alle Teilnehmenden wohl fühlten.

Doch zurück zu denen, die von Dingen sprechen, von denen sie nichts verstehen. Können Sie sich vorstellen, welche Reaktion eine solche Aussage hätte, wenn sie nicht aus dem Mund eines hochkarätigen Experten käme? Hätte eine hochkarätige Expertin den Mut, es zu sagen? Wer wählt diejenigen aus, die über Dinge sprechen wollen, von denen sie nichts verstehen? Bin ich einfach humorlos und habe nicht verstanden, dass Welzer einen Witz machte?

Ein roter Faden durchzog die Debatten: Die Mitwirkung der Bevölkerung, der Einbezug von Betroffenen in Projekte der Stadtplanung und -entwicklung. Sind wir alle, wenn wir uns dazu zu Wort melden, nun privilegierte Expertinnen und Experten oder einfach Leute, die wissen, wovon sie sprechen?

Am Urban Forum waren es die Schweizer Referenten, die sich im Gegensatz zu den deutschen Kollegen um eine geschlechtergerechte Sprache bemühten. Genderfragen standen jedoch an der Tagung nicht auf dem Spielplan. Doch Städte werden heutzutage von Frauen mit geplant und gebaut. An der Architekturabteilung der ETH sind unter den Studierenden fast die Hälfte Frauen. Wo sind sie auf den Bühnen der Fachkongresse? Müssen sie noch 750 Jahre darauf warten, sagen zu dürfen, worauf sie Lust haben und wovon sie nichts verstehen? Und wollen sie das?


Yvonne Lenzlinger,
28.12.2014, 113. Jahrgang, Nr. 206.

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