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«Wandzeitung» vom 2.3.2015:

Liebesbrief:

Ru.

Den Namen Momo hat sie mir gegeben, der Geschichte von Michael Ende angelehnt. Ich sei die gleiche gute Zuhörerin. Das hat mir geschmeichelt, und ich liess meinen Taufnamen zurück. Wir waren zusammen in der Berufsschule. Ich bewunderte ihren extravagant rockigen Kleidungsstil und die unkonventionelle Frisur. Der Lieblingsfarbe violett ist sie bis heute noch treu. Klassenkameraden hatten Mühe mit ihrem Rheintaler Dialekt. Ich verstand sie sofort, wir sprechen beide dieselbe Sprache, nämlich die, die aus dem Herzen kommt. Anstatt den Worten unseres Lehrers zu lauschen, schrieben wir einander lieber Zettel. Wir dichteten und fabulierten, fingen ein Buch an zu führen. Wir schrieben Gedichte und Gedanken hinein. Heute noch taucht es ab und an aus der Versenkung auf, dann verschwindet es wieder spurlos.

Jahre vergingen, wir blieben aneinander hängen. Mal sehen wir uns mehr, mal weniger. Sie ist meine kleine Hexe. Spirituell hatte sie mich auf den neusten Stand gebracht, als sie selber eine Ausbildung machte. Sie kann meine Begabungen deuten, sagt, dass wir schon im Mittelalter Schwestern waren. Ich sehe das lebhaft vor mir. Von der ersten Stunde hat sie an mich als Schreiberin geglaubt. Sie treibt mich an. Dank ihr bin ich etwas update geblieben mit unserem Beruf der Serigrafen, den sie viele Jahre mit grossem Erfolg ausgeübt hat. Auch sie hat sich weiterentwickelt, sich das Sticken selber angeeignet. Sie hat ihre eigene kleine Firma, in der sie mit hohem Qualitätsniveau Kleider mit Firmen- und Vereinslogos und komplizierten Bildern verschönert. Sie sucht nach einer Balance zwischen Arbeit und Freizeit, die meist auf der Strecke bleibt. Ihr verwunschenes Haus ist auch nach zwei Jahren immer noch nicht fertig eingerichtet. Und mit ihrem Feuerstuhl kurvt sie auch viel zu wenig durch die Gegend.

Meine englische Telefonkabine steht bei ihr, nach langer Odyssee, vor ihrem Haus. Sogar einen Job hat sie mir angeboten. Leider musste ich ablehnen. Der Weg zu ihr ist weit, und weil wir doch arg verschiedene Naturells haben, sah ich unsere Freundschaft als gefährdet. Lieber sehen wir uns alle paar Monate zum «Babbere», wie sie so schön sagt. Und halten uns in knappen Mails auf dem neuesten Stand. Früher verbrachten wir auch Ferientage zusammen. Ihr blieb davon vor allem in Erinnerung, dass sie immer Essen musste. Sie wuselt gerne in der Gegend rum und vergisst die Ernährung komplett. Sie schiebt lieber im Vorbeigehen schnell etwas hinter die Kiemen. Ich, mit meinem Leberdefekt, sollte viele kleinere Mahlzeiten zu mir nehmen und vorwiegend Vernünftiges essen.

Ich erinnere mich an die Erholung, die ich in ihrer Umgebung und Gesellschaft fand. Ausserdem haben wir zu Singlezeiten viele Nächte durchgetanzt. Auch habe ich mit ihr oft Tränen gelacht, wir haben denselben schrägen Humor. Obwohl kinderlos geblieben, hat sie mich immer in meinen Belangen als alleinerziehende Mutter unterstützt und mitgedacht. Eigentlich ist sie ein Katzenmensch und hat im Laufe der Zeit viele Tiere um sich. Heute fehlt leider die Zeit. Es gibt so viel wofür ich ihr dankbar bin, Balsam für die Seele ist sie!


Momo Appenzeller,
2.3.2015, 114. Jahrgang, Nr. 61.

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