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«Wandzeitung» vom 24.7.2015:

Überflüssige Zeit:

Erwachsen werden.

Dreizehn Jahre lang bin ich nun tagein, tagaus zur Schule gegangen. Mal in die Primarschule, mal ins Gymi, mal an die Handelsmittelschule, mal in Winterthur, mal in Zürich, mal in Spanien. Doch immer tat ich dasselbe: Den ganzen Tag in der Bank sitzen und so tun, als würde ich immer aufmerksam zuhören, nach einem langen Tag erschöpft nach Hause kommen und dann noch lernen müssen, dabei jedoch immer genau wissend wie viele Wochen, beziehungsweise Tage es noch geht, bis die Ferien wieder vor der Tür stehen.

Nun ist das vorbei. Die Schule ist abgeschlossen. Das Gehirn im Ruhemodus. Plötzlich habe ich unendlich viel Zeit. Zeit, um all diese Dinge zu tun, die ich in den letzten Monaten aufgeschoben habe. Wie zum Beispiel einen Zahnarzttermin vereinbaren – was ich schon vor drei Jahren hätte tun sollen – wobei mir einfällt, dass ich auch noch zum Gynäkologen, Dermatologen und zu einem Handgelenkspezialisten gehen sollte. Dann muss ich auch noch die Steuererklärung ausfüllen, und die vielen Mails beantworten sich auch nicht von alleine. Und obwohl ich nun ja so viel Zeit habe, kostet es so viel Überwindung, diese Dinge seriös zu erledigen. Immer kommt irgendetwas dazwischen: «Heute muss ich mir einmal einen ruhigen, freien Tag gönnen», «Heute bin ich einfach zu müde» oder «Ups, der Tag ist ja schon vorbei» und so weiter. Stattdessen vertreibe ich die Zeit, indem ich erstmal ausschlafe, dann mal den Fernseher einschalte und irgendwelche hohlen Sendungen schaue, für die keine hohe Gehirnleistung nötig ist – so fühle ich mich mal etwas intelligenter.

Nun ist es so, dass ich wirklich langsam aber sicher erwachsen werde und soeben die Bestätigung für eine eigene Wohnung mit meinem Freund erhalten habe. Jetzt fängt das richtige Leben erst an. Bald habe ich kein Mami mehr, das mir hinterher rufen kann, wenn ich vergessen habe, den Herd auszumachen, kein Papi mehr, der mir jeden Morgen einen Kaffe ins Badezimmer bringt. Die Wäsche muss selbst gewaschen werden – eingekauft, gekocht, geputzt, alles muss aufgeteilt werden. Natürlich ist die Vorfreude trotzdem gross und ich habe das Gefühl, Stunden damit verbringen zu müssen, Möbel im Internet zu bewundern, die ich mir eh nicht leisten kann. So kam es, dass ich einmal neugierig war, wie teuer denn Staubsauger heutzutage sind und kam auf eine Seite mit ganz verschiedenen Staubsaugern in allen Preisklassen. Plötzlich sah ich ein Superangebot: 39 Franken 90 für einen kleinen, süssen, roten Staubsauger von der Marke Miele. Das ist doch mal ein Schnäppchen, dachte ich und bestellte ihn sofort – dazu muss ich noch hinzufügen, dass ich bis jetzt noch nichts verdiene und bei jedem Franken abwägen muss, ob es sich lohnt, ihn auszugeben. Wie sich dann eine Woche später herausstellte, war dieser süsse, kleine Staubsauger für Kinder gedacht und nicht einmal die Batterien wurden mitgeliefert, damit das unnützige Ding ein Staubsaugergeräusch macht!

Vielleicht sollte ich doch die Zeit besser nutzen und zum Zahnarzt gehen oder die Steuererklärung ausfüllen – oder immerhin das Staubsaugerlein entsorgen, das nun auch schon seit Wochen in meinem Zimmer rumsteht.


Salome Weber,
24.7.2015, 114. Jahrgang, Nr. 205.

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