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«Wandzeitung» vom 23.2.2015:

Klassische Musik und die Türkei oder Der Fall Fazil Say:

Alla Turca.

Im Verlauf des 18. Jahrhunderts kam in der europäischen Musikszene die Beschäftigung mit orientalischen, insbesondere türkischen Motiven in Mode. Türkischer Kolorit – oder was man darunter verstand – hielt Einzug in die Werke abendländischer Komponisten, wovon etwa Mozarts Rondo «Alla Turca» in seiner Klaviersonate Nr. 11 in A-Dur oder Haydns «Militärsinfonie» zeugen. Das berühmteste Beispiel im Bereich des Musiktheaters ist zweifellos Mozarts Singspiel «Die Entführung aus dem Serail», aber schon in Glucks «Die Pilger von Mekka» und in Haydns «L' Incontro improvviso» findet sich dasselbe Handlungsschema.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und besonders seit den Reformen Atatürks kam es durch den Einfluss klassischer westlicher Musik, die musikethnologische Auseinandersetzung mit dem eigenen Erbe und die Förderung des Musikunterrichts in der Türkei selbst zur Entwicklung regen kompositorischen Schaffens – stellvertretend für viele sei der Bartokassistent Ahmed Adnan Saygun genannt –, und auch zahlreiche Pianistinnen und Pianisten erlangten internationalen Ruhm: Idil Biret, die Zwillingsschwesternpaare Güker und Süher Pekinel sowie Ferhan und Ferzan Önder und nicht zuletzt Fazil Say.

Fazil Say ist nicht nur ein vielbeschäftigter Pianist, er hat auch schon, obwohl er im heurigen Jänner erst seinen 45. Geburtstag gefeiert hat, eine umfangreiche und vielfältige Produktion als Komponist vorzuweisen. Unter seinen Klavierstücken finden sich gefühlvolle Balladen («Kumru», «Sevenlere dair») ebenso wie Jazzvariationen klassischer Werke («Alla Turca Jazz»), Stücke, in denen durch Dämpfung der Klaviersaiten mit der linken Hand das türkische Volksinstrument Saz nachgeahmt wird («Schwarze Erde») oder Kadenzen zu Klavierkonzerten Mozarts und Beethovens; Say schrieb aber auch Lieder, Konzerte, kammermusikalische Werke, Sinfonien und Oratorien. Schon seit mehr als einem Jahrzehnt freilich agiert Say auch als Kritiker des türkischen AKP-Regimes. Reaktionen desselben blieben nicht aus: 2003 zensierte der Kulturminister einen Teil des Oratoriums «Requiem für Metin Altiok», einen befreundeten Dichter, der gemeinsam mit 36 anderen Personen 1993 bei einem von Islamisten verübten Brandanschlag in Sivas umgekommen war, 2013 wurde der bekennende Atheist Say aufgrund einiger Tweets wegen Volksverhetzung und Beleidigung religiöser Werte zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, 2014 setzte ihn der der AKP angehörende Bürgermeister Antalyas als Leiter des internationalen städtischen Klavierfestivals ab und das Ministerium erwirkte die Streichung einiger seiner Stücke aus dem staatlichen Orchesterjahresprogramm. Im selbsternannten Vorbildland für Meinungsfreiheit, das allerdings auf der Rangliste der Pressefreiheit der «Reporter ohne Grenzen» im Jahr 2014 nur Platz 154 von 180 Ländern einnahm, darf man zwar religions- und regierungskritische Meinungen haben, es scheint aber nicht ratsam, sie auch öffentlich zu äussern...

Noch ist Fazil Say in Freiheit. Wer Zeit und Lust hat, sollte nicht versäumen, am 5.5.2015 einen Abstecher zu seinem Konzert mit dem Zürcher Kammerorchester in der Zürcher Tonhalle zu machen!


Herbert Danzer,
23.2.2015, 114. Jahrgang, Nr. 54.

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