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«Wandzeitung» vom 23.3.2015:

Faschingsnachlese:

Die Dekorierten.

Wer an den letzten Faschingstagen auf der Suche nach unterhaltsamen Sendungen durch deutsche und österreichische Fernsehkanäle zappte, hatte kaum eine Chance, den Ausstrahlungen aus den Hochburgen der organisierten Lustigkeit zu entgehen. Dem rheinländischen Karneval erging es offenbar so wie vielen anderen Strömungen: Zu Beginn wies er deutlich subversive Züge auf, entstand er doch aus Umzügen bewaffneter Bürgerwehren, die, gegen die französischen bzw. preussischen Besatzer protestierend und sie parodierend, in bunten Uniformen und mit Blumen im Gewehrimitatlauf durch die Strassen marschierten. Aber persiflierte ursprünglich die Dekoration mit Faschingsorden aus Holz, Pappe oder Leder die Geltungssucht der Militärs, so veränderten diese Orden mit der Zeit ihre Funktion und befriedigen heute, von eigenen Firmen angefertigt, die Geltungssucht der Karnevalsvereinsfunktionäre und -förderer.

Szenenwechsel! Beim Wiener Opernball, beim Höhepunkt der österreichischen Ballsaison und mit über 5000 Besuchern grössten Treffpunkt Österreichs für Repräsentanten der Politik, Wirtschaft und Kultur, herrscht Kostümierungszwang: Männer haben Frack oder Ausgehuniform zu tragen, für Frauen ist ein bodenlanges Abendkleid Pflicht. Und wer solche hat, darf und soll auch seine Orden präsentieren. Allein das Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich umfasst 15 Stufen, vom Gross-Stern, den nur die Bundespräsidenten und fremde Staatsoberhäupter erhalten (z. B. integre Persönlichkeiten wie Ceausescu, Tito, Assad, Ben Ali oder Nasarbajew), bis zur nicht mehr vergebenen Bronzenen Medaille. Fein wird je nach Zugehörigkeit zur jeweiligen Hierarchieklasse differenziert, wer welches Ehrenzeichen erhalten darf: Das Grosse Goldene oder Silberne am Bande beispielsweise bekommen vorzugsweise ranghohe Politiker, das aber meist fast automatisch nach einer bestimmten Funktionsdauer. Im vorigen Jahr verlieh Präsident Fischer 1040 Ehrenzeichen; auf die Anfrage einiger Abgeordneter an Kanzler Faymann 2012, wie viele österreichische Ehrenzeichen denn seit 1945 verliehen worden seien, antwortete dieser mit einer 2035 Seiten langen Aufstellung.

Wen wundert es, dass daneben noch viele weitere Bundes- und Landesauszeichnungen vergeben werden, dass es eine vom Präsidentschaftskanzleikabinettsdirektor geleitete Österreichische Ehrenzeichenkanzlei gibt, dass in der steirischen Landesamtsdirektion ein eigenes «Referat Protokoll und Auszeichnungen» existiert, dass allein die hochverschuldete Stadt Wien jährlich ungefähr 200 000 € für Ehrungen und Auszeichnungen bereitstellt? Und die Schweiz? Die verleiht an ihre Staatsbürger keine Orden und Ehrenzeichen und verbietet sogar ihren aktiven Parlamentsmitgliedern, Bundesbeamten und Armeeangehörigen, von ausländischen Staaten verliehene Orden anzunehmen und zu tragen.

Was wohl ein Georg Herwegh nach einer Opernballübertragung geschrieben hätte? Vielleicht Verse wie diese: «Die Dekorierten. Nur Anmerkungen sind sie, die Herrn, zum Text der Geschichte. Darum hat man sie auch alle mit *** versehn.»


Herbert Danzer,
23.3.2015, 114. Jahrgang, Nr. 82.

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