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«Wandzeitung» vom 4.6.2015:

EIN SATZ:

Moloch mobil.

Wenn ich geh, dann geht nur ein Teil von mir ... PETER MAFFAY

Wonach strebt, geneigtes Lesewesen, der Mensch neben der Anhäufung materieller Güter? Falsch. Ich meine die Mobilität. Auf den ersten Blick mag sie den Mainstream der Gesundheitsprophylaktiker optimistisch stimmen. Die letzte Kampagne liess uns nämlich eine Haltestelle früher aussteigen und zu Fuss gehen. Wenn das auch im Intercity einige Probleme zur Folge hatte. Doch noch ein anderer Umstand dämpft den Optimismus. Die Mobilität findet kaum mittels der dem Menschen ureigenen Muskelkraft statt, dafür unter Einsatz von Motoren. Wie wir wochentags jeden Morgen und Abend am Verkehrsinfarkt sehen oder am ZVV-Gratistag, der uns einen ganzen Sonntag Stosszeit bescherte.

Gut, zehntausende Fussgänger und Radler zusätzlich in der kleinen, fast grossen Stadt, die wir alle gut kennen, würde vielleicht unser Fitness-, aber nicht unser Verkehrsproblem lösen. Wir könnten das Hohelied des öffentlichen Verkehrs singen, im Bus, den wir ganz für uns allein haben. Er steckte allerdings in einem Tohuwabohu wie in Peking fest.

Seitdem wir flächendeckend mit den Segnungen virtueller Netzwerke beglückt sind, könnte man meinen, dass die Virtualität die physische Präsenz überflüssig gemacht hätte. Weit gefehlt. Der Mensch nutzt jede neue Technik, um zusätzliche Bewegung zu erzeugen. Er chattet und simst permanent und fährt auch noch ständig im Auto und im Zug herum, wo er wiederum chattet und simst, um sein Eintreffen allerorten anzukündigen. Seit das Rad erfunden wurde, hat das kein Ende. Höchstens einmal einen Unterbruch, z. B. beim Bahnstreik in Deutschland. Alle Räder stehen für den Sieg – den Sieg des Sozialpartners.

Peter Maffay ist ein Visionär, nicht nur wegen des Lieds mehrerer Brücken, das er von der DDR-Gruppe Karat abgekupfert und erfolgreich vermarktet hat, sondern auch mit seiner Einschätzung dessen, was uns betreffend Mobilität erwartet. Sobald der Mensch dazu in der Lage ist, wird er sich teilen, um gleichzeitig sowohl alle virtuellen Netzwerke zu überfluten, als auch die Strassen und öffentlichen Verkehrsmittel zu verstopfen. Von der beanspruchten Wohnfläche nicht zu reden.

Aber vielleicht ist das gar keine Vision. Wenn ich in Stosszeiten – ich kann von meinem Fenster aus sowohl den Bahnhof als auch die vielbefahrenste Strasse der kleinen Stadt beobachten – auf das Gewimmel schaue, das wir mit dem, was wir Raumplanung nennen, erzeugen, kommt mir ein jäher Verdacht: Soviele Leute kann es gar nicht geben, es haben sich schon längst alle geteilt und jeder ist gleichzeitig nicht nur im Internet, sondern auch in der Realität mehrfach präsent. In Zug, Bus, Schiff, Tram, Seilbahn und auf der Strasse.

Damit du da bist, wo du nicht schon bist. Der Dichtestress ist in Tat und Wahrheit ein Reproduktionsstress. Nur bei mir geht, wenn ich geh, der Ganze und nicht bloss ein Teil von mir.

Dafür bin ich sonst unersättlich: EIN SATZ jetzt zweimal pro Monat.


Adrian Ramsauer,
4.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 155.

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