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«Wandzeitung» vom 17.6.2015:

Beruf oder Berufung:

Wie ich zum Traumjob komme.

Jeden Tag erscheinen einige hundert Ratgeberbücher: Besser flirten, schöner essen, gesünder leben, mehr verdienen, glücklich werden, glücklich leben, meditieren, wie ich alles in den Griff kriege, Alltags-Yoga, der kleine Alltags-Philosoph, Pilates, Kamasutra etc. etc.

Was fast allen gemeinsam ist: sie machen vor allem Autor und Verlag glücklich, wenn’s gut geht auch reich. Vom Nutzen mag ich nicht reden; von mir weiss ich, dass ich einige der Ratgeber nicht zu Ende gelesen habe und die guten Tipps grösstenteils nicht einmal ausprobiert habe. Und die wenigen, die ich mir gemerkt habe, haben mein Glück nicht merklich gesteigert.

Unsere Berufsberatung habe ich persönlich mit meinen Kindern eher als Berufsabratung kennen gelernt. Vor vielen Jahren war es so, dass man klassenweise einen halben Tag in die Berufsberatung ging. Das waren eigentlich Bibliotheken mit spezifischer Beratung. Die Schülerinnen und Schüler stöberten in Büchern herum, konnten Fragen stellen und gingen mit einigen Prospekten nach Hause. – Heute ist das ganz anders: Einmal im Monat kommt eine Berufsberatungsperson ins Schulhaus und spricht mit den Jugendlichen, die sich über die Lehrperson im Vorfeld angemeldet haben. Zentral ist die Frage: «Was machst du gerne», und das ist leider der komplett falsche Ansatz. Die richtige Frage ist: «Was kannst du gut – und kann man daraus einen Beruf machen.» Bei vielen Jugendlichen lässt sich nämlich aus dem, was sie gerne machen, kein Beruf machen. Chillen, Gamen, Ausgehen, Herummachen: Da wird es eben schwierig.

Die Antworten, die mir die Schülerinnen und Schüler aus der Einzelberatung, die etwa zehn Minuten dauert, gebracht haben, waren eher dürftig: «Schau mal im Internet bei LENA nach, da findest du bestimmt etwas ...» Für diesen Hinweis brauche ich keine teure Beratungsperson, da käme ich allenfalls sogar allein drauf. Wichtig ist, herauszufinden, wo meine Begabung, mein Können liegt. Daraus kann man dann eher einen Beruf machen und – was man kann, macht wahrscheinlich auch Freude. Mir persönlich ist zum Beispiel völlig egal, ob der Chirurg, der mich operiert, es sehr gerne macht. Mir ist viel wichtiger, dass er es wirklich KANN. Von meiner letzten Operation weiss ich, dass der Chirurg sehr gerne operiert, aber er konnte es in meinem Fall einfach nicht gut.

Hausi Leutenegger, der Selfmade-Millionär mit der Zigarre, sagt in seinen Lebensregeln, dass jeder Mensch maximal zwei Begabungen hat. Und wenn keine davon herausragend ist, soll man sich auf eine einzige konzentrieren und sie so trainieren, dass sie wirklich gut bis sehr gut wird. dann kann man schauen, welche Berufe sich daraus machen lassen – und dann einen davon wählen und die entsprechende Ausbildung machen.

Die Orgelbaufirma Kuhn zum Beispiel hat den richtigen Ansatz bei der Lehrlingswahl: Jede und jeder hat die gleiche Chance, nämlich ein bestimmtes Werkstück selbständig und exakt in einer gegebenen Zeit herzustellen. Und der Beste (oder die Beste) kriegt die Lehrstelle. Es zählt also genau das, was man kann.

«Lebe deine Passion» – vergiss es – und mach das, was du kannst.


André Bernhard,
17.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 168.

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