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«Wandzeitung» vom 3.9.2015:

Berührungen zart bis hart:

Sind Sie eigentlich vom Aff bisse?

Sie erinnern sich: Das war die Frage, die Christoph Mörgeli in einer Rundschau-Sendung dem Moderator stellte, nachdem er gefragt wurde, ob er zurücktrete. «Vom Aff bisse» ist die wenig elegante Formulierung für «gahts na» oder «tickst du noch richtig». Ich bin zwar nicht vom Aff gebissen worden, aber als Premiere in meiner Lehrerlaufbahn von einem Schüler. Die Geschichte erzähle ich etwas später.

Berührungen können verschiedene Eigenschaften und Qualitäten haben: zart, unauffällig, unabsichtlich, bewusst, gezielt, sanft, erotisch, zugreifend, stark, hart und so weiter.

Sie wissen das, und alle Kellnerinnen und Kellner wissen es ganz bestimmt: Wenn man den Gast leicht an der Schulter oder am Arm berührt, gibt es mehr Trinkgeld. Das liest man jedenfalls in unzähligen Büchern und Artikeln. Wir hatten in Winterthur eine ganz besondere Wirtin, die Sie hoffentlich auch einmal erlebt haben. Das war zu den alten Zeiten des Schlosses Wülflingen. Frau Aberli war die Gastgeberin, ihr Ehemann der Koch: ein wunderbares und harmonisches Gespann. Frau Aberli strich einem – auch wenn man nicht Stammgast war – bei der Bestellung sanft über den Rücken, ungeniert, ganz natürlich, aber eben doch so, dass einmal meine Begleiterin eifersüchtig geworden ist. Heute sind in den meisten Restaurants – wenn überhaupt – die Berührungen viel oberflächlicher und vor allem kürzer. Aber dennoch sind sie wirksam.

Berühren kann man seit einiger Zeit auch lernen: Diplomierte Berührerinnen verhelfen Behinderten zu lange vermissten Freuden. Ich kenne Masseusen (oder sagt man eher Masseurinnen?), welche das professionelle Berühren beherrschen und in einer knappen Stunde Menschen lockern und entspannt machen können.

Rangeleien beim Einstiegen in die Bahn, Rempeleien in Bus und Tram sind nicht immer mit Absicht verbunden, die Schlägereien schon eher: Das sind die bewussten und harten Berührungen, ich denke an Schwinger und Boxer, aber auch an Jugendliche in der Schule, die sich oft sehr hart berühren und manchmal nicht nur einen Schlichter, sondern die Ambulanz brauchen.

Beissen zählt nicht unbedingt zu den Berührungen, aber eben, bei heftigen Kämpfen kann es als letztes Mittel doch dazu kommen. Letzte Woche mussten wir auf dem Pausenplatz zwei Knaben auseinanderhalten, welche mit Gewalt und Trottinett aufeinander losgingen. Ich hatte noch meinen Schirm in der Hand, der mir vom einen Schüler als Waffe entwendet werden wollte. Ich habe das nicht zugelassen und meinen Schirm mit beiden Händen festgehalten. Nach kurzem, aber heftigem Gerangel biss mich der Elfjährige massiv in die Hand. Die herbeigeeilte Werklehrerin fasste einen fadengeraden Faustschlag in den Bauch. Das sind dann eben die heftigen Berührungen ...

Ein Kollege hat mich, nachdem ich ihm den Vorfall erzählt habe, tatsächlich gefragt, ob ich vom Aff gebissen sei, an einer solchen Schule zu unterrichten. Wer mich kennt weiss: Ich gebe so schnell nicht auf.

Wichtiger scheint mir die Frage, wie man solchen Menschen helfen kann, zur Normalität zurückzukehren. ich fürchte, dass unsere schulischen Einrichtungen das nicht schaffen.

 

 


André Bernhard,
3.9.2015, 114. Jahrgang, Nr. 246.

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