Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 3.11.2015:

Manieren:

Schmieröl der Gesellschaft.

Vor einigen Jahren hatte ich den Plan, in Winterthur eine Manierenschule aufzumachen. Einige Menschen haben mich darin unterstützt, zum Beispiel Alt-Bundesrat Rudolf Friedrich, der fand, dass es Jugendlichen sehr nützen würde, zu trainieren, wie man sich angemessen verhält. Friedrich hat sich auch finanziell beteiligt, um die Vorarbeiten zu finanzieren. Die Schule hätte jeweils am Samstagvormittag stattgefunden und nur Jugendliche aufgenommen, die in der Obertsufe einer öffentlichen Regelschule eingeschrieben sind.

Was mich auf diese Idee gebracht hat? Erfahrungen im Alltag und im «Alltag», Begegnungen mit Schülern, Eltern und Lehrern, Anlässe wie Vernissagen, Empfänge in Botschaften, Einladungen bei Millionären, Besuche in Beizen, Restaurants, Bars, bei Cooop, bei Migros; die Liste ist lang, die Erfahrungen enttäuschend. – Um mich besser zu informieren, habe ich mich mit dem äthiopischen Prinzen Asfa-Wossen Asserate getroffen. Er ist Autor verschiedener Bücher zu diesem Thema, zum Beispiel «Deutsche Tugenden» und «Manieren». Natürlich hat der Prinz Manieren: Er hat mich und meine Begleitung in Frankfurt empfangen und die Idee einer Manierenschule – nach seinen Vorstellungen – gut gefunden und sich bereit erklärt, in Winterthur oder Zürich Einführungsabende zu geben, damit wir diese Schule mit genügend Teilnehmerinnen und Teilnehmern starten könnten.

Einige Erfahrungen haben mir gezeigt, dass Manieren am Aussterben sind, allerdings garniert mit tollen Ausnahmen. Eigentlich wäre es ja «normal», sich beim Begrüssen die Hand zu reichen und in die Augen zu schauen. Viele Menschen belassen es beim «Hallo», Namen und Handschlag werden ausgelassen. Eine grossse Ausnahme bildet eine Schule in Winterthur: Da informiert der Schulleiter die Neueintretenden Lehrpersonen, dass man sich, wenn man sich am Tag zum ersten Mal sieht, mit Handschlag und Namen begrüsst. Das Gegenstück ist eine Privatschule in Unteraffoltern, bei der man sich nicht mal anschaut, geschweige denn richtig begrüsst.

Wirte und Restaurants: Da war ich jahrelang Stammgast in einem guten Restaurant. Der Wirt kannte mich und meinen Namen sehr wohl. Beim Eingang nickte er lediglich mit dem Kopf zur Begrüssung. Im selben Restaurant gibt mir der neue Wirt – obwohl ich selten dort bin – die Hand und begrüsst mich mit Namen.

Über die Freundlichkeiten des Buspersonals habe ich mich schon genügend ausgelassen, ich wiederhole mich hier jetzt nicht, obwohl ein Erlebnis mir immer noch in den Knochen sitzt: Bei einem Schnellstopp, der nötig war, weil der Chauffeur eine Haltestelle zu spät geshen hat, kippten zwei Kinderwagen samt Mütter zur Seite. Eine entschuldigende Durchsage wäre das Mindeste, das man hätte erwarten können. Stattdessen Schweigen und Weiterfahren.

Die Worte «pardon, danke, bitte» werden selten gebraucht. Schüler sagen: «Chan ich es Heft» oder «ich bruche Patrone». Vollständige Sätze mit «Bitte» sind nicht mehr in.

Die Eröffnung meiner Manierenschule hat sich verzögert. Die Raumsuche war ernüchternd weil erfolglos, die Unterstützung von aussen auch. Na, kommt Zeit, kommt Rat. Vielleicht wirds nächstes Jahr besser.


André Bernhard,
3.11.2015, 114. Jahrgang, Nr. 307.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.