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«Wandzeitung» vom 9.3.2015:

Apropos Kultur & Politik:

Kanton Zürich: no culture.

Jetzt spidern sie wieder: Die Wahlplattformen Smartvote und Vimentis laden zum fröhlichen Casting der Kandidierenden für Regierungs- und Kantonsrat im Kanton Zürich. Bei Smartvote erfolgt die Empfehlung auf der Basis von entweder 30 oder 59 Fragen, bei Vimentis, der Kopie des Originals Smartvote, sind es dreissig Fragen, auf deren Grundlage die Profile erstellt werden. Die Fragen von Vimentis sind mit ganz wenigen Ausnahmen mit den Fragen von Smartvote deckungsgleich, und die Resultate haben eine Übereinstimmung von faktisch 100 Prozent. So weit so gut. Ich bin also froh, bestätigt mir das Internet, dass ich richtig wähle. Und es ist gewiss schön, hat der Nachwuchs der exponentiell zunehmenden Zunft der Politologinnen und Politologen auch eine Beschäftigung erhalten und durfte die Fragen ausbaldowern.

Wie weit solche Profile aufgrund von Selbstdeklarationen wirklich relevant sind, sei offen gelassen. Bei den Regierungsratswahlen finde ich sie sinnlos. Diese Persönlichkeitswahlen bieten genügend Gewähr, dass die Kandidierenden ein Profil erhalten. Auch hier hat mir der Spider auf beiden Plattformen bestätigt, was ich eh wusste: dass es nämlich nur ganz wenige unter den Kandiderenden gibt, die überhaupt wählbar sind. Sehr wenige. Eigentlich nur eine. Wenn neben inhaltlichen Fragen nicht auch noch andere Überlegungen wären ...

Die Wahlplattformen erheben den Anspruch, dass die 30 Basisfragen und bei Smartvote die zusätzlichen 29 Ergänzungsfragen so etwas wie ein Abbild der kantonalen Politik darstellen. Meine Folgerung aus diesem Anspruch: In diesem Fall steht es um die Kultur im Kanton Zürich schlecht. Ganz schlecht. Bei Vimentis gibt es keine einzige Frage, die auch nur annähernd in den Bereich Kulturpolitik eingeordnet werden kann, bei Smartvote ist es nur in der grossen Version zwei Fragen aus diesem Bereich. Kultur als Teil staatlichen Wirkens ist also vernachlässigbar. Für den Kanton Zürich gilt «no culture».

Ich vermute, dass die jungen Politologinnen und Politologen, die die Fragen erarbeitet haben und ihre Chefs, die täglich in den Medien ihre Analysen bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von sich geben dürfen, den Bezug zur realen Welt etwas verloren haben. Denn gemäss verschiedenen Studien sind die kulturellen Angebote für mehr als 30 Prozent der Bevölkerung von essentieller Bedeutung und ein Leben ohne Kulturangebote schlicht nicht denkbar. Für weitere 30 bis 40 Prozent sind kulturelle Angebote von sehr hoher Wichtigkeit. Gleichzeitig aber wird der Zusammenhang zwischen diesem Grundbedürfnis und der real existierenden Politik der Mehrheit aus SVP, FDP, GLP und CVP nicht hergestellt. Besonders eklatant ist dies bei der GLP, die am stärksten in den Widerspruch zwischen ihrer gelebten Staatsabbaupolitik und ihrem leeren verbalen Bekenntnis zur Kultur gefangen ist. Kultur ist ein Frühwarnsystem für gesellschaftliche Veränderungen. Dass Kultur im politischen System des Kantons Zürich 2015 kaum relevant ist, sagt ziemlich viel über den Zustand dieses Systems aus. Inwieweit dies auch umgekehrt gilt, bleibe mal dahingestellt.

 

 


Matthias Erzinger,
9.3.2015, 114. Jahrgang, Nr. 68.

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Standpunkte:

10.3.2015, 13:21 Uhr.

Matthias Erzinger schrieb:

Lieber Herr Bocion – zufällig habe ich nicht über mehr Geld oder so für die Kultur geschrieben, sondern zum Stellenwert, den die Kultur im politischen System hat. Ob die fünf Regierungsratskandididerenden an einer blühenden Kultur interessiert sind, kann ich nicht beurteilen, da wie gesagt verlässliche aussagen dazu fehlen. Und einfach Sonntagspredigten ohne Verbindlichkeit nützen der Kultur nicht. Da ist es wie mit der Bürokratie: SVP, FDP und GLP schimpfen über Bürokratie – und sind doch diejenigen, die sie im wesentlichen zu verantworten haben, besitzen sie doch seit Jahrzehnten die Mehrheit in Regierungs- und Kantonsrat, wie auch in den Gemeinden. Vor einem halben Jahr wurde die Fleischimport-Bürokratie etwas gelockert – und schon kommen SVP, FDP und CVP und drehen das Rad zurück. So ist das leider auch bei der Kultur: Für eine blühende Kultur einstehen, heisst mehr als Lippenbekenntnisse. Aber für die Politikerinnen und Politiker ist das Thema schlicht irrelevant – wie die Smartvote-Umfragen zeigen...


10.3.2015, 11:16 Uhr.

Pierre-François Bocion schrieb:

Die Kulturförderung der Wirtschaft, der Stiftungen und von einzelnen Bürgern und Bürgerinnen wird nicht mit einbezogen. Die fünf bürgerlichen Regierungsratskandidaten sind alle an der blühenden Kultur im Kanton Zürich interessiert! Arbeiten ist angesagt - nicht verteilen.


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