Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 8.6.2015:

Diese Rhetorik! Diese Mimik!

Das Erbe der Orchideen.

Kürzlich war ich an einer Podiumsdiskussion zum Thema Erbschaftssteuerreform. Sexy! Oh ja, sexy! Besonders wenn SP-Frau Jacqueline Badran alle an die Wand redet. Dieses Podium hat eindeutig länger als 3 Minuten 04 Sekunden gedauert. Sie erinnern sich, mein Arbeitsweg dauert genau 3 Minuten 04. Nein, die Diskussion, ob ab 2 Millionen Erb 20 Prozent Steuern bezahlt werden müssen, dauerte genaue 93 Minuten. Oder 5520 Sekunden. Gefühlt hat Frau Badran 5518 Sekunden von dieser Zeit in Anspruch genommen. Diese Rhetorik! Diese Mimik! Diese Sprachfeinfühligkeit! Ich bin Fan. Ich gebe es zu. Ich war es zuvor nicht unbedingt, aber Frau Badran bei der Demontage des Gegners zu beobachten war grandios. Wie eine Löwin kam sie in den Saal, umkreiste ihre Beute (Gewerbeverbandsdirektor, Hans Ulrich Bigler) und zack: schon hatte sie ihn zerrissen. Schnell ging es, Herr Bigler war chancenlos. Und wenn er doch zu Wort kam, sagte er meistens das Falsche. Wortwörtlich. Wie sonst erklärt sich, dass er als negatives Beispiel drei Kinder nimmt, die von den Eltern 3 Millionen Franken erben und mit der neuen Steuer dann 200 000 Franken bezahlen müssten? Im Initiativtext steht, dass pro Nachlass 4 Millionen steuerfrei bleiben. Von der fehlenden Antwort zur Frage, wie viele KMU mehr als 50 Millionen Wert haben, will ich gar nicht sprechen. Herr Bigler, mit Verlaub: sich vorbereiten wäre auch kein Seich gewesen. Aber vielleicht war Herr Bigler ja zu sehr mit der Photoshop-Leutenegger-Bastelei beschäftigt. Frau Badran, nicht faul und nicht auf den Mund gefallen, konnte sogar die Skeptiker für sich gewinnen. Oder zumindest sehr gut unterhalten.1 zu 0 für die Erbschaftssteuerreform, um die mache ich mir kaum Sorgen.

Schlaflose Nächte hingegen bereiten mir die Orchideen in der Bildungsdirektion in Zürich. Vor vielen Jahren hatte ich bei der jetzt kürzlich abtretenden Regierungsrätin, Regine Aeppli, ein Interviewtermin. Ich sollte zu ihr ins Büro gehen und irgendein brisantes (!) und noch spannenderes Interview zu a) Bildung oder b) Lehrplan oder c) Fachhochschule führen. Ich hab vergessen, um was es ging. Vergessen habe ich aber den Besuch bei Frau Aeppli nicht. Das ist den Orchideen zu verdanken. Die wunderbarste, feinste, jungfräulichste Orchideenpracht, die ich je gesehen habe, empfing mich in Frau Aepplis Büro. Schneeweiss, elegant und anmutig waren sie im Raum verteilt und schauten auf die Limmat runter. Nach dem mehr oder weniger interessanten Interview unterhielten wir uns über die Orchideen. Ich vergötterte Orchideen seit eh und je. Sie anscheinend auch. Unsere gemeinsame Vorliebe endete in einem ehrlichen, vielleicht nicht bedeutenden, aber umso persönlicheren Gespräch. Nun ist Frau Aeppli nicht mehr Regierungsrätin und ich frage mich: was ist mit den Orchideen passiert? Wurden sie in die Obacht von Frau Silvia Steiner gegeben? Mag sie sie auch so fest wie ihre Vorgängerin? Soll ich sie (die Orchideen, nicht Frau Steiner) mit dem Lastwägeli am Stampfenbachplatz abholen gehen? Das Schicksal der Orchideen der Zürcher Bildungsdirektion liegt mir am Herzen. Sie sehen, meine Schlaflosigkeit ist mehr als gerechtfertigt.

 

 


Oriana Ziegler-Somarriba,
8.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 159.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.