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«Wandzeitung» vom 10.6.2015:

Selbstbeobachtung:

Prämienverbilligung und Yoga.

Die Tage hier im Ashram beginnen mit einer stillen Meditation und enden ebenso. Dazwischen machen wir Yogaübungen und lernen interessante Dinge über das Leben. Wir sind etwa 20 SchülerInnen in unterschiedlichen Lebenssituationen und mit unterschiedlichen Motivationen. Doch wir alle sind uns einig, dass das wahre Glück jenseits der materiellen Welt liegt. Die spirituellen Lehren gehen hier allerdings noch einen Schritt weiter. Um in Frieden mit uns selbst und unseren Mitmenschen zu leben, sollten wir uns nicht nur von materiellen Dingen lösen, sondern auch von Orten und Menschen und nicht zuletzt von uns selbst, von unseren Gedanken, Gefühlen und unserem Körper. Wenn ich das nämlich schaffe, dann ist jeder Ort meine Heimat, jeder Mensch mein Nächster und umgekehrt bin ich selbst jeder Mensch. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen mir und dem anderen. Soweit das Ideal. Wie weit ich davon entfernt bin, wurde mir schmerzlich bewusst, als ich von meiner Krankenkasse erfuhr, dass ich dieses Jahr über 3000 Franken mehr bezahlen muss als im Vorjahr, weil ich keine individuelle Prämienvergünstigung mehr bekomme. Ich hatte die Anmeldefrist dafür um zwei Monate verpasst und auf Nachfrage hiess es, dass damit mein Anspruch erloschen sei, obwohl ich auch in diesem Jahr so gut wie nichts verdiene. Verdammt.

Von allen Anhaftungen ist diejenige ans Geld wohl die verwerflichste. Dass es mir nicht leicht fällt, mich von meiner Familie zu lösen oder von meinem eigenen Körper, erscheint logisch. Doch wenn mich der Verlust von Geld schmerzt? Was sagt das über meine spirituelle Entwicklung aus? Sie steckt in den Kinderschuhen. Das ist die bittere Wahrheit. Denn während ich meditiere und mich in Gleichmut üben sollte, ertappe ich mich bei bösen Rachegedanken, die sich spezifisch gegen die Frau richten, die mir damals in einer E-Mail geschrieben hatte, sie könne leider keine Ausnahme machen, weil die Frist abgelaufen sei. Diese Fristenfanatikerin. Sie hat mich um mein Geld betrogen. Mein Geld! Mein! Mein! Mein!

Mein. Die Ursache und der Ursprung sämtlichen Leidens in der Welt liegt möglicherweise im Konzept dieses Wortes. Der Gründer dieses Ashrams schrieb, wenn man etwas sein Eigen nenne, gebe man damit seine Freiheit auf und erklärte seinen Ansatz mit einer Metapher. Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit Ihrem ganzen Besitz einen grossen Fluss überqueren. Wenn Sie alles mitnehmen, wird es schwierig mit dem Schwimmen. Ausserdem schwebt die Angst, den Besitz im reissenden Strom doch noch zu verlieren, stetig über Ihnen und Sie laufen Gefahr zu ertrinken, falls Sie es nicht schaffen, rechtzeitig davon loszulassen. Wenn Sie hingegen alles am Ufer zurücklassen, können Sie mit freien Händen und ohne Gewicht über den Fluss schwimmen.

Mein Verstand sagt mir, dass es gut wäre möglichst viel zurückzulassen. Mein Gefühl hingegen trauert den hunderten, ja tausenden von Franken nach, die ich versehentlich in den Fluss geworfen habe, dabei ist Geld gar nicht schwer und wegen einer Kreditkarte im Hosensack ist ja noch niemand ertrunken. Sie ahnen es: Der Weg zur Erleuchtung ist lange und beschwerlich. Aber ich bleibe dran.

 

 


Anita Blumer,
10.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 161.

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