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«Wandzeitung» vom 11.3.2015:

Mode oder Inhalt?

Varoufakis, der «Halbstarke».

Die Mitglieder der SYRIZA-geführten Regierung in Athen werden von ausländischen PolitikerInnen und Medien in einer Art beschimpft, die erstaunt und erschreckt. Immerhin wurden sie mit einer satten Mehrheit der griechischen Bevölkerung demokratisch gewählt. «Halbstarke» werden sie genannt. Vor allem der Finanzminister, Yanis Varoufakis, ist in den Fokus der Meinungsmacher geraten. Korrespondenten lassen sich lang und breit über sein Outfit aus.

Diese Oberflächlichkeit ist nicht daran interessiert, dass die Leserschaft mehr über die Beweggründe und Positionen dieses polarisierenden Politikers erfährt. Man muss da schon selber ans Recherchieren gehen – und kann das dank Internet ja auch machen.

Dabei stiess ich auf einen Vortrag von ihm, den er anlässlich des sechsten Subversive Festivals 2013 in Zagreb gehalten hat. Varoufakis spricht hier über sein Verhältnis zu Marx, auch zur radikalen Linken. Was in diesem Text aber vor allem niedergelegt ist: Die politische Agenda eines Mannes, der von dem Motiv geleitet ist, dass man den Kapitalismus vor seinem Untergang um jeden Preis retten muss, um Schlimmeres zu verhindern – und um so überhaupt die Chance zu bewahren, wirkliche gesellschaftliche Veränderungen anzupacken und umzusetzen.

Varoufakis hat die faschistische Militärdiktatur in Griechenland noch erlebt, die Sorge vor einem krisenpolitischen Ausgang nach rechts ist in ihm als Mahnung wach. Er ging kurz vor dem Wahlsieg von Margaret Thatcher nach Grossbritannien und machte dort einen Fehler, der – einmal als solcher erkannt – sein Denken beeinflusste. Varoufakis glaubte zunächst, der Sieg der Neoliberalen würde jenen kurzen, aber heilsamen Schock in der Arbeiterbewegung und in der Mittelschicht auslösen, der nötig sei, um dann bald zu einer Neubelebung der fortschrittlichen Linken zu führen.

Es kam anders. Und wenn Varoufakis heute mit Blick auf die Eurokrise und die Lage in Griechenland so sehr die Notwendigkeit eines Übergangsprogramms betont, dann auch deshalb, weil er von der Sorge getrieben ist, eine anhaltende Rezession mit ihren sozialen und kulturellen Verheerungen werde eben nicht über die Verelendung zur Befreiung führen, sondern eher in die politische und gesellschaftliche Katastrophe der 1930er-Jahre. Der Zusammenbruch des kapitalistischen Europa, wie wir es derzeit kennen, öffnet nicht das Fenster in eine bessere Welt – im Gegenteil. Die Möglichkeit einer Alternative offenzuhalten heisst, man muss das Falsche verteidigen, um Zeit für die Arbeit am Richtigen zu gewinnen – so hat Varoufakis in Zagreb einen zentralen Punkt seines Denkens umrissen. Seit seiner Wahl ist das auch das Grundmotiv seiner Verhandlungen mit der Eurogruppe um eine Verlängerung des Kreditprogramms für sein Land.

Varoufakis als einen modisch gekleideten «Halbstarken» zu etikettieren kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich innert kurzer Zeit zu einem der wichtigsten Protagonisten im Konkflikt um die europäische Krisenpolitik gemacht hat.

 

 


Ludi Fuchs,
11.3.2015, 114. Jahrgang, Nr. 70.

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