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«Wandzeitung» vom 28.6.2014:

Im Stadttheater gibt es Aufführungen auf Französisch:

Guete Bonjour.

Zwölftausend Paar Schuhe sollen das Winterthurer Publikum in eine Freilichtaufführung locken. Daraus wird zweifellos ein unterhaltsames Spektakel. Der Einbezug der Bevölkerung als StatistInnen und SpenderInnen von Schuhen allein verspricht einen grossen Erfolg.

Das Kriegsgeheul von anno dazumal wird in Gelächter umschlagen, wenn die Generalsgattin den Winterthurern französische Kultur beizubringen versucht. Mir hat der Titel des Jubiläumsstücks ein Lächeln entlockt, denn ich bin dort aufgewachsen, wo Hafenkräne keine Kunst sind und trotzdem zum Stadtbild gehören, wo elsässisches Verkaufspersonal die KundInnen mit einem charmanten spitzen Güete Bonjour begrüssen und MaturandInnen fliessend französisch parlieren – in Basel.

Seit ich vor über vierzig Jahren in den Kanton Zürich zog, sind die Franzosen und ihre Sprache aus meinem Alltag verschwunden. In unserer Kantonshauptstadt herrscht zwar ein babylonisches Sprachengewirr und ab und zu erwischt man im Tram melodiöse Wortfetzen frankophoner AfrikanerInnen am Handy. Doch wo sind die Nachfahren von Molière und Napoleon, wo unsere welschen MiteidgenossInnen? Mir kommt Zürich immer wie ein urhelvetisches Dorf vor, das sich längst mit den Eroberern aus aller Herren Länder arrangiert hat. Das hat ja auch seinen Reiz. Neuerdings in Winterthur wohnhaft, komme ich wieder mehr auf meine Rechnung: Im Stadttheater gibt es Aufführungen auf Französisch und unter den Kindern im Quartier, welche die International School besuchen, sind auch welche französischer Muttersprache. Ich bin glücklich, wenn ich ihnen im Eulachpark begegne.

Eine traurige Geschichte hingegen ist das Thema Schulfranzösisch. Wie sollen Kinder im Primarschulalter eine Sprache lernen, die ihnen so fremd ist wie Chinesisch? Was schnappen sie auf von Lehrpersonen, die Französisch in einer Schnellbleiche gelernt haben? Wie lustvoll ist es für GymnasiastInnen, sich mit Baudelaire und Aragon über Liebeskummer zu trösten, wenn es viel zu wenige Bilingues gibt, die sie unterrichten? Kennen die Jungen hier Stress und Sens Unik? Kein Vorwurf ist gerechtfertigt, wenn ihre Antwort lautet: «Das eine habe ich dauernd, das andere ist ein Verkehrszeichen.»

Ich habe mich mit dem unaufhaltsamen Vormarsch von Englisch abgefunden. Sollen sich meine Enkel in den Ferien in Frankreich auf Englisch durchschlagen! Als Rentnerin habe ich ja Zeit, für den Kauf französischer Bücher mal schnell über den Röstigraben zu hüpfen oder mich ins Elsass abzusetzen. Solange Solothurn für Film und Literatur einmal im Jahr Umschlagsplatz fürs ganze Land bleibt und das Übersetzerhaus Looren in einem Ort mit einem so reizenden alemannischen Namen wie Wernetshausen steht, findet, wer sucht, noch seine frankophone Kuschelecke. Und wer es etwas deftiger mag und Französisch nicht beherrscht, schaut sich an, was die Franzosen mit der Winterthurer Stadtgeschichte zu tun haben.

 

À la prochaine!

 

 

 


Yvonne Lenzlinger,
28.6.2014, 113. Jahrgang, Nr. 23.

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