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«Wandzeitung» vom 15.12.2015:

EIN SATZ:

Hüttenkäse.

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt. Erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. KINDERREIM. Je nach Kindlichkeit, Sangeslust und Geduld weiter fortführbar.

Übernächtigt von den zur Zeit gehäuft auftretenden Weihnachtsfeiern tappe ich eines Dienstagmorgens schlaftrunken durch die Gassen der kleinen, angeblich grossen Stadt, die wir alle gut kennen. Ich will mir auf dem Wochenmarkt einen Elggermann erstehen. Jäh wird mein Gang durch eine Bretterbude gehemmt, auf der in grossen Lettern «Berliner Bäckerei» prangt.

Eine Berliner Bäckerei wird wohl keine Elggermänner führen, aber sicher doch Schrippen, die knusprigen Brötchen aus Berlin. Eine willkommene, weltoffene Abwechslung! Doch die Bude ist wie das Dutzend Nachbarn verriegelt. Erst abends finde ich heraus, dass es keine Berliner Bäckerei, sondern eine Berlinerbäckerei ist, in der Pfannkuchen in der Friteuse ausgebacken werden, was sich sowohl im Geruch als auch in einem leisen Ölfilm auf dem frisch gefallenen Schnee ausdrückt. Bzw. ausdrücken würde, wenn es denn frisch gefallenen Schnee in diesem Spätsommer gäbe.

Der Geruch vermischt sich mit jenem von Raclette, Fischchnusperli und Bratwurst. Auch mit gutem Willen ist das olfaktorische Bouquet nicht mit der Adventszeit zu assoziieren. Dafür ist es sogar bei verschnupfter Nase deutlich wahrnehmbar. Wehe dem, der am Neumarkt wohnt und sein Fenster offen hat.

Ein Elggermann ist eine klassische, hiesige Weihnachtstradition, die auch nur in und um Elgg so bezeichnet wird, während der Berliner in Berlin nicht einmal so heisst. Dafür wird er überall ganzjährig feilgeboten, obschon er ursprünglich eine Sylvester- und Fasnachtsspezialität war. Gut, der Elggermann war beim Grossverteiler auch schon Anfang November erhältlich und heisst dort Gritibänz.Vielleicht rettet er sich durch das ganze Jahr. Der Fertigteigling ist schliesslich lange haltbar. Wer kein Elggermann wird, qualifiziert sich für den Dreikönigskuchen.

Nun mag das Backangebot am «Top-Event» (O-Ton Winterthur Tourismus) auf dem Neumarkt Sinn machen, bei den Auslagen verschiedener Stände hat man aber Mühe, einen Zusammenhang mit Weihnachten, geschweige denn mit einem Top-Event auszumachen. Der Chlaus eignet sich nicht als VIP-Gast und den globalisierten Kitsch bekommt man ganzjährig überall.

Dass man die Hütten von Pfingsten über Musikfestwochen, Oktoberfest und Martinimarkt bis Weihnachten nicht einfach stehen lassen kann, versteht sich, kommt man sonst doch mit dem Velo über die einzige Querverbindung durch die Altstadt zwischen Rudolfstrasse und Graben nicht mehr durch.

Was liegt also näher, als beim bevorstehenden Abräumen den Kinderreim in seiner fortgeführten Version zu visualisieren: Wir verbrennen die Hütten feierlich am Schulsylvester. Nicht nur ein Lichtlein brennt.

Und vielleicht kommen die Hütten dann nicht wieder.

 


Adrian Ramsauer,
15.12.2015, 114. Jahrgang, Nr. 349.

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