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«Wandzeitung» vom 23.6.2014:

die halbe schweiz ist von der andern hälfte majorisiert worden:

demokratie, du hochgelobte.

die beste aller demokratien? seit dem 9. februar wankt diese meine überzeugung bedenklich, angesichts der 50,3 prozent für die «masseneinwanderungsinitiative». (ich habe nur schon mühe, dieses ungetüm von einem wort hinzuschreiben. mit dem begriff ‚masse‘ wird eine gruppe von menschen diskriminiert und in eine reihe mit ‚massenartikeln‘ und ,massenware‘ gestellt. das wort schürt damit jene fremdenangst, die uns seit jahrtausenden innewohnt, uns gruppenwesen, und die zu überwinden aufgabe der kultur wäre.)

eine abstimmungsniederlage wortlos hinzunehmen, an diese regel mich zu halten bin ich diesmal nicht bereit. einmal ganz abgesehen von den rund 40 prozent, denen das stimmrecht verwehrt ist, und jener hälfte vom rest, die sich abstinent verhält. träfe es einmal die einen und dann wieder die andern, die sich zu schicken haben, so könnte es ja noch hingehen. aber wenn sich stets die gleichen in der ecke der unterlegenen zusammendrängen, kommt wut oder resignation hoch. in einem verein wäre bei solchen spielregeln bald einmal die hälfte der mitglieder ausgetreten. darum wird dort ein vorhaben so lange austariert und angepasst, bis es grossmehrheitlich durchkommt. nun ist die schweiz nicht ein verein und können wir aus ihr nicht so einfach austreten. umso eher sollten die regeln allen ermöglichen, einigermassen gerne mitglied zu sein.

bei der demokratie denkt man zunächst an unsere abstimmungssonntage. der philosoph hans saner hat zu recht den mehrheitsentscheid als eine notlösung in der demokratie bezeichnet, die erst zum zug kommen darf, wenn der diskurs ausgiebig stattgefunden hat und sich einstimmigkeit oder mindestens eine großmehrheitliche übereinkunft abzeichnet. unsere parteien aber streben maximallösungen an und sind des jubels voll, wenn sie diese mit 51 Prozent durchbringen. damit spalten sie die gesellschaft in zwei blöcke. der kompromiss dagegen, gerne als helvetische tugend bezeichnet, scheint weitgehend in vergessenheit geraten zu sein. ohne kompromisse aber verkommt die demokratie zu einer diktatur der mehrheit.

die genannte initiative ist ein besonders krasses beispiel. die gleichen, welche die einwanderung vorangetrieben haben (mit steuerdumping firmen ansiedeln, arbeitskräfte anwerben, umsätze steigern), wollen nun den deckel auf die brodelnde milchpfanne drücken. statt argumente vorzubringen, appellierten sie an den homo-non-sapiens. ein eigentlicher diskurs fand nicht statt. nach dem entscheid reibt sich jetzt alles die augen und werden die konsequenzen langsam sichtbar, und weil es am ende so knapp war, haben auch die unterlegenen verständlicherweise ihre mühe mit der akzeptanz. am besten das ganze nochmals von vorn.

nb. in konsequenter kleinschreibung (mit der redaktion abgesprochen). wer deswegen etwas nicht versteht, darf sich beim autor melden.

 


alfred vogel,
23.6.2014, 113. jahrgang, nr. 18.

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