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«Wandzeitung» vom 20.12.2015:

Winterthur zu sehr Grossstadt?

Füdlibürger aller Nationen.

Ein Bekannter zieht aus Winterthur weg. Zu sehr Grossstadt sei sie geworden, zu viel Verkehr, zu viel Lärm, aber vor allem: zu viele Ausländer. Er höre praktisch kein Deutsch, wenn er abends am Bahnhof stehe und nach einem harten Arbeitstag auf den Bus und den wohlverdienten Feierabend warte. Nur noch Albanisch, Serbisch, Kroatisch. Das interessante war aber nicht das Standardgefluche über Ausländer und -politik. Es war die Aussage: «Sorry, aber das isch eifach nöd schwiizerisch!» Nicht schweizerisch? Hm. Was macht sie denn aus, die Schweiz?

Ich tippe «typisch Schweiz» ins Google-Suchfeld. Es erscheinen Toblerone-Nahaufnahmen, ein Sackmesser, das Matterhorn, die drei Appenzeller aus der Käsewerbung, Kühe, ein Fondue, drei Alphornbläser. Wenig aussagekräftig. Das Alphornspiel beherrsche ich genauso wenig wie mein Bekannter, und soviel ich weiss ist sein Lieblingsessen nicht Fondue, sondern Thailändisch.

Ich mache mich also auf die Suche nach der typisch Schweizerischen Kultur. Wikipedia spricht von Calvinistischer Arbeitsethik, Präzision und hohen Ansprüchen. Aber auch von Fahnenschwingen, Ländler und Trachten.

Ich stelle mir den durchschnittlichsten Schweizer Füdlibürger vor. Er heisst Müller. Er arbeitet hart, verdient nicht allzu viel. Er wählt SVP, Familientradition. Er hat einen kleinen Bauchansatz, vom täglichen Feierabendbier, vielleicht einen Schnauzer. Er mag Rösti mit Bratwurst. Eine Portion Schalk in den Augen hat er, und er jasst gerne. Neuem gegenüber ist er nicht abgeneigt, aber skeptisch. Mir wird bewusst, dass Herr Müller mit mir nicht allzu viel gemeinsam hat, und mit meinem Bekannten auch nicht. Am meisten Gemeinsamkeiten hat er mit anderen Schweizer Füdlibürgern oder mit einem albanischen, serbischen, kroatischen Füdlibürger. Genauso hat ein Schweizer Ingenieur mit einem Ungarischen oder Deutschen Ingenieur wohl mehr gemeinsam als mit Herrn Müller; ein Schweizer Bauer kann die Gedanken und Einstellungen eines Serbischen Bauers vermutlich besser nachvollziehen als die des Schweizer Managers. Die Schweiz ist vielfältig und bringt eine Menge sehr unterschiedlicher Menschen hervor. Genau wie jedes andere Land.

Aber woraus besteht denn nun die Schweizerische Kultur? Was ist der Grundgedanke, der uns als Nation eint? Kurz vor meinem Jura-Abschluss stehend, greife ich naheliegenderweise zum Gesetz. Zur Schweizerischen Bundesverfassung vom 18. April 1999. Dort muss doch irgendetwas stehen dazu, was die Schweiz ausmacht. Was sie ausmachen soll. Wofür wir uns direktdemokratisch entschieden haben. Die Präambel: «... Das Schweizervolk und die Kantone, ... im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihrer Vielfalt in der Einheit zu leben, im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, gewiss, dass nur frei ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen, geben sich folgende Verfassung: ...


Anita Hofer,
20.12.2015, 114. Jahrgang, Nr. 354.

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