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«Wandzeitung» vom 13.3.2015:

Kunst ist frei:

Aber Kunst ist nicht demokratisch.

Man lernt ja lebenslang. Das soll sogar für Stadträte gelten. Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich in den knapp fünf Jahren als Stadtrat gemacht habe, ist, das Wesentliche vom weniger Wesentlichen zu unterscheiden. Und die Ressourcen und Prioritäten entsprechend (ein) zu setzen.

Erfreulicherweise gibt es auch aktuelle Beispiele in der Winterthurer Politik, bei denen das gelingt: Bei der Frage des Wegzugs der School of Engineering hat sich eine breite Allianz über die Parteigrenzen hinweg gebildet. Und dazu beigetragen, dass das Tech bleibt, wo es hingehört. Bei einer emotionaleren Frage, jener um den Gestaltungsplan Werk 1, kam ebenfalls ein breites Bündnis zustande. Mit Erfolg. Die Erkenntnis: Es geht wieder etwas in unserer Stadt. Wenn wir uns auf die für unsere Stadt unbestreitbar wichtigen Fragen konzentrieren, gemeinsame Haltungen entwickeln und uns über die Parteigrenzen hinweg auf allen Ebenen für diese «Winterthurer Anliegen» einsetzen. Solche Anliegen wären eine fairere Verteilung der Soziallasten zwischen den Gemeinden auf kantonaler Ebene. Oder im Hinblick auf die Unternehmenssteuerreform III diese so auszugestalten, dass sie nicht Gemeinwesen wie auch unsere Stadt nicht verkraftbare Steuerausfälle beschert. Es ist unerlässlich, hier die Reihen zu schliessen und sich gemeinsam für unsere Stadt einzusetzen. Es gibt ja noch genügend andere Themen, die die Möglichkeit bieten, dem parteipolitischen Profilierungsbedürfnis nachzukommen.

Ein Thema, das zwar objektiv betrachtet nicht so wichtig ist, aber die Menschen in unserer Stadt bewegt hat, ist das Schicksal von Holidi. Es ist grundsätzlich sympathisch, wenn sich Leute für etwas einsetzen und Unterschriften sammeln – egal ob online oder auf Papier. Und beim Holzmann am Graben, zu der eine ganze Generation – mindestens – einen emotionalen Bezug hat, verwundert das nicht. Bedauerlich ist hingegen, dass die Chance verpasst wurde, in diesem Zusammenhang spannende Kunst- und Kulturdebatte zu führen.

Das Ziel der Initiative sei auch, dass dem Stadtrat aufgezeigt werde, dass Kunst im öffentlichen Raum im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung betrieben werden solle, liessen die Initiativbefürworter verlauten. Man wolle Holidi behalten. Und wenn etwas Neues, dann ein anderes als das geplante Kunstwerk. Die Bevölkerung solle mitreden können.

Man könnte meinen, hier werde Kunst mit politischen, demokratischen Abläufen verwechselt. Partizipation, Mitsprache und Teilhabe sind wichtig. Aber im richtigen Gefäss, auf stufengerechte Weise. Kunst muss eben genau nicht wie eine Abstimmungsvorlage mehrheitsfähig sein. Dafür gibt’s den Service public mit Musikantenstadl und dem Swiss Music Award. Ein Kunstwerk ist auch nicht mit einer komplexen parlamentarischen Vorlage wie etwa dem Gestaltungsplan Werk 1 zu vergleichen, bei der man diskutiert, korrigiert, Anträge stellt, Veränderungen vornimmt, Kompromisse eingeht. Das wäre die spannende Debatte rund um Holidi gewesen: Kunst ist nicht demokratisch. Kunst ist frei. Und die Demokratie ist dafür da, dass das so bleibt.


Nicolas Galladé,
13.3.2015, 114. Jahrgang, Nr. 72.

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Standpunkte:

23.3.2015, 20:24 Uhr.

Michael Gerber schrieb:

Lieber Matthias Erzinger, danke für Ihre Anmerkungen und Kritik. Ich muss zugeben, dass ich mich nicht sehr detailliert mit den Entscheidungen und deren Prozessen befasst habe. Es war mir nicht bewusst, dass der Entscheid des Nachfolgeobjekts durch alle demokratischen Instanzen hindurch entschieden wurde und vollständig in der Kompetenz des Stadtrates liegt und somit demokratisch legitimiert ist. Keinesfalls habe ich für einen Putsch gegen einen Entscheid mit demokratischer Legitimation plädiert. Es ist selbstverständlich, dass auch demokratsich legitimierte Entscheidungen nicht alle Beteiligten glücklich machen können. Anlass meines Kommentars war mein Ärger über die befremdliche und belehrende und in diesem Fall falsche Aussage Galladés, «dass Kunst nicht demokratisch» sei. Und ein Vergleich mit dem Müll im TV, den Galladé den Bürgern als Service-Public unterjubeln wollen. Eine Initiative, die eine Restauration oder für eine Neuerschaffung Holidis fordert, übergeht den Willen des Erschaffers. Das ist zwar typisch für die Piratenpartei, zeugt aber von einem wenig soliden Rechstverständnis. Es ist auch grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Kunsterk eine endliche Lebensdauer hat. Im Fall Holidi müsste der Stadtrat Winterthur vielleicht ein Einsehen haben und den Widerstand in der Bevölkerung gegen die schreckliche seelenlose Zahnbürste ernst nehmen, statt formal auf seinem Recht zu bestehen, entscheiden zu dürfen. Ein Stadtrat dem seine Bevölkerung etwas bedeutet würde hier anders handeln. Zu viele Bürger sind gegen das hässliche Zahnbürstenprojekt, als dass dies vom Stadtrat übergangen werden sollte. Galladé sagt ja nichts anderes: «Liebes Volk, wenn einmal gewählt ist, dann ist fertig mit Volkswillen und Demokratie, dann entschieden wir, egal ob es Euch passt oder nicht!» Es ist diese arrogante und überhebliche Politiker-Schnösel-Attitüde die mich ärgert. Das Argument, dass die Bevölkerung am Anfang den Holidi auch nicht mochte, ist ein Scheinargument und nicht vergleichbar. Die Widerstände gegen Holidi waren konservativ und prüde. Die Widerstände gegen die Zahnbürste sind pragmatischer Art: Sie ist langweilig, hässlich, uninspiriert und uninspirierend und lädt nicht zum Spielen ein. Kein Kind wird am Abend vor dem Schlafengehen von diesen seelenlosen überteuerten Holzstangen und -bretter reden. Schon die Erklärung zum Plazet, der Künstler habe mit den Gegensätzen: hoch und tief, gerade und schräg, schwebend und gestützt, gespielt, zeigt wie ideenlos dieses banale Werk ist. Der Künstler spielt mit ein paar Brettern und Stangen herum, und weil er keine besseren Ideen hat, wird das Ergebnis das ein Null-Ergebnis ist, als Kunstwerk bezeichnet.


17.3.2015, 10:09 Uhr.

Matthias Erzinger schrieb:

Lieber Michael Gerber. Obwohl Sie vermutlich in ihrer Haltung kaum zu beeinflussen sind, erlaube ich mir einige Gegenargumente. 1: Der Holidi-Ersatz war keine «staatliche verordnete» Massnahme, und das mit der «Staatskunst» in einem totalitären Staat zu vergleichen zeigt nur, wie gebrochen Ihr Verhältnis zu den demokratischen Institutionen geworden ist. Sie wollen ein Vorgehen, dass durch alle demokratischen Instanzen hin eingeführt wurde, putschmässig abschaffen. Unser Staatswesen beruht auf Rechtssicherheit. Und diese Rechstsicherheit sagt, dass Kunst am Bau bewusst durch die Instanzen hinweg delegiert wurde. Gerne können die Regeln geändert werden – aber das wiederum im Rahmen eines politischen Diskurses. Die Holidi-Initiative hat diesem Vorgehen schlicht nicht entsprochen, und es ist berschämend, wenn gewählte Gemeinderäte nicht einmal wissen, dass es bei einer Initiative so etwas wie die Einheit der Materie zu beachten gibt. Sie plädieren, dass Kunst im öffentlichen Raum direkt durch die Bevölkerung bestimmt werden müsse. Tatsache ist, dass der Holidi bei seiner «Geburt» keine Chance hatte, in einer Volksabstimmung eine Mehrheit zu erhalten... Kunst braucht tatsächlich einen demokratisch legitimierten Freiraum, um sich entwickeln zu können. Unsere Staatswesen hatte die Souveränität, der Kunst diesen Freiraum zu gewähren. Sie wollen diesen Freiraum wieder schliessen. Ein Staatswesen, dass der Kultur keinen solchen Freiraum zugesteht ist zu bedauern.


14.3.2015, 10:32 Uhr.

Michael Gerber schrieb:

Das ist ja irre, wenn ein Politiker schreibt, dass Kunst nicht demokratisch sei, sondern frei. Damit setzt er demokratisch mit unfrei gleich. Als freiheitsliebender liberaler Mensch frage ich mich beunruhigt, was sich ein linker Politiker wie Galladé unter Freiheit vorstellt? Etwa eine Kunst-Diktatur von möchtegern-elitären Leuten, die sich im Glauben wähnen, ein «höheres Kunstverständnis» zu haben und die in ihren permanenten pädagogischen Allüren gegenüber dem angeblich so «einfachen Volk» meinen, dieses an ein «höheres Kunstverständnis» heranführen zu müssen?
Staatlich und behördlich verordnete «Kunst» ist das Merkmal von totalitären Regimen. Kunst muss tatsächlich nicht gefällig sein und soll die Freiheit haben zu verstören, gesellschaftliche Normen und Vorstellungen zu durchbrechen und Horizonte zu erweitern. Diese Freiheit ist primär immer eine Freiheit im Privaten und nicht im aufgezwungenen. Sie besteht darin, dass jede Galerie und Aussteller ausstellen können, was sie möchten, egal wem die Kunst gefällt oder wem nicht. Der öffentliche Raum ist jedoch etwas anderes. Holidi ist ein Kunstwerk, das positive Emotionen weckt und zu einem Identifikationsobjekt geworden ist. Wenn die Bevölkerung sich im öffentlichen Raum wünscht, dass dieses Kunstobjekt nicht durch ein seelenloses Kunstobjekt ersetzt wird, welches Kinder nicht magisch anzieht, über welches Kinder nicht vor dem Einschlafen reden, nach dessen Namen Kinder nicht ihre Puppen benennen, dann haben die möchtegern-elitären Politiker dies zu respektieren und das Volk nicht zu belehren, was Kunst sei und was nicht. Diese Politiker können sich ja immer noch bei sich im Garten sich mit ihrem Kunstverständnis austoben und ihr «hohes Kunstverständnis» zur Schau stellen.
Auch der Vergleich mit Swiss Music Award als «Service public» ist völlig daneben. Die SP möchte gerne die TV gebühren als «Service public»-Gebühr allen Haushalten auferlegen. Auch dies ist so eine Allüre, dass sich staats- und regierungsnahe möchtegern-Pädagogen anmassen für das Volk zu definieren, was «Service public» sei. Genau solche seichten Unterhaltungssendungen wie Musikantenstadel und alle Casting-Shows und Awards sind kein Service public, sondern müssen privatisiert werden. Das soll bezahlen, wer es anschauen möchte. Ein Staats-TV beziehungsweise staatlich getragene TV-Inhalte sind in der heutigen Zeit genauso fragwürdig, wie es staatlich getragene Tageszeitungen wären. Da würde jedem sofort auffallen, dass auch dies Merkmale sind, dass eine politische «Elite» sind anmasst dem «dummen Volk» beibringen zu müssen, was sie zu interessieren hat und was gut und was schlecht ist. Dies schreibe ich als liberal denkender und über weite Strecken links fühlender, kulturell interessierter und weltoffener Mensch.


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