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«Wandzeitung» vom 25.4.2015:

schall und nichts sonst:

aimez-vous brahms?

gehören sie auch jener minderheit an, die in klassischer musik schwelgt? oder sind wir vielleicht gar nicht so wenige? wie lassen sie sich auf musik ein? schliessen sie die augen und suchen in trance zu versinken? lesen sie die biographien der komponisten und glauben in der musik deren trauer oder hochgefühle abgebildet zu finden? forschen sie nach nachahmungen von naturklängen? studieren sie partituren und suchen deren architektur zu ergründen? oder meinen sie gar, besonders bei geistlicher musik, das feuer des glaubens zu spüren?

es gibt im prinzip beim musikhören (in allen stilen) die annäherung von zwei seiten her. die eine heisst: wiedererkennen. viele kompositionen stehen deshalb so hoch im kurs, weil sie uns vom vielen hören vertraut sind. wir kennen jede wendung und erwarten diese bereits, bevor sie erklingt. am deutlichsten wird dies bei evergreens, etwa beim lied «o mein papa». die andere seite heisst: begierig auf neues, auf un-erhörtes. alle musik, die nur bekanntes bringt, läuft sich bald einmal tot, ebenso alle musik, die das bedürfnis nach wiedererkennung nicht befriedigt. dabei ist die balance zwischen den beiden polen für uns individuell verschieden, und darum unterscheiden sich auch unsere vorlieben für die verschiedenen musikrichtungen, ganz abgesehen natürlich von den annäherungen, denen wir im laufe unseres lebens ausgesetzt wurden oder uns ausgesetzt haben.

nur geht es mir persönlich im konzert meist zu schnell. ich bin überflutet von eindrücken. es strömt zu viel neues und verschiedenes auf mich ein. vielleicht müsste ich mich besser im voraus mit dem programm befassen. beim musikhören ab tonträger dagegen könnte ich hören und wieder hören, aber dort fehlt mir der moment des entstehens und es fehlt mir das optische, das mir erlaubt, mich mit den ausführenden zu identifizieren.

ich habe mir darum eine ideale form der annäherung eingerichtet. ich habe ein herausragendes streichquartett aus london für eine woche im kommenden oktober ins unterengadin bestellt und habe eine hörerfamilie für diese woche eingeladen. nun werden wir uns gemeinsam auf beethovens nachfolger – mendelssohn, schubert, brahms – einlassen. wir werden uns in zwei vorträgen (durch den winterthurer hans hoerni) in die gebotenen werke einführen lassen, wir werden an einigen vormittagen an den proben des quartetts teilnehmen dürfen und wir werden am späteren nachmittag und am abend die werke in eindrücklicher ausführung zu hören bekommen, immer nur ein einziges werk aufs mal.

es ist möglich zu partizipieren: es gibt noch freie plätze. unter www.allegra-allegri.ch ist alles weitere zu finden. mit gleichgesinnten aus england und der schweiz können wir uns schon jetzt auf einen musikgenuss freuen, auf ein hochgefühl, wie wir es bereits im herbst 2013 mit den quartetten von beethoven erfahren durften.

seltsam, dass schallwellen (nichts anderes als luftverdichtungen, welche das trommelfell massieren) so tief unsere seele berühren können.

 


Alfred Vogel,
25.4.2015, 114. Jahrgang, Nr. 115.

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