Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 22.6.2015:

Oft ist keine böse Krankheit der Grund für Vergesslichkeit:

Viele Menschen fürchten Alzheimer.

XY begegnet einer ehemaligen Nachbarin in der Marktgasse, mit der sie seit Menschengedenken von Du auf Du ist, deren Namen ihr aber einfach nicht mehr in den Sinn kommt. – AL hat sich ein wunderbares Mittagsmenü ausgedacht, aber was um Himmelswillen wollte er eben noch kochen? – RS hat gestern ihr Velo an der Wartstrasse abgestellt, oder doch an der Stadthausstrasse, also ennet Bahnhof oder altstadtseits? – LP könnte sich hintersinnen, weil er nicht mehr weiss, ob jetzt sein langjähriger Kumpel den 51. oder 53. Geburtstag feiert. – Wo, fragt sich GT verzweifelt, habe ich meine Agenda hingelegt? – CW weiss nicht mehr, ob heute Montag oder Donnerstag ist oder gar Sonntag?

Fragen, die mitunter bei jedem Menschen wie ein Blitz ins Hirn schlagen, und die spontan fehlende Antwort kann freilich alle Betroffenen schon mal ein bisschen ins Schwitzen bringen. An trüben Tagen sieht wohl fast jedes Erdenkind ein Blackout schnell mal als ein ganz böses Warnzeichen beziehungsweise als den Anfang einer sich – womöglich – durch solcherart teuflischen Demenz oder einer ähnlichen Abbaukrankheit. Doch wenn grad mal die Sonne unsere Herzen erwärmt, zählen wir eine gewisse Unkonzentriertheit locker zum Alltag und lächeln über Ambrose Bierces Definition von Vergesslichkeit: Sie sei eine Gottesgabe, durch die Schuldner ihren Mangel an Gewissen wettmachen.

Es mag sein, dass schon eine gewisse Zerfahrenheit jedem Menschen Angst macht oder dass er seine Gedanken mitunter nur aus dem Gedächtnis löscht, weil ihn zu viele Anreize schlicht überfordern? Die heutige Menschheit wird ja mit Informationen im Sekundentakt zugedröhnt.Wir erleben einen überwältigenden Informationsfluss des Überfordernden, Fülligen und Schnellen. Die allermeisten Menschen leiden wohl zum Glück nicht unter Demenz, sondern unter den kaum zu bewältigenden Anreizen. Und die angehäuften Schwierigkeiten im Alltag führen dazu, dass die Betroffenen innerlich abschalten. Wenn sie etwa zu Hause bleiben, vermeiden sie auch, mit den eigenen Schwierigkeiten konfrontiert zu werden und sich vor anderen eine Blösse zu geben. Es ist ganz normal, dass sich mit dem höherem Alter und der zunehmenden Lebenserfahrung auch die Persönlichkeit entwickelt und verändert. Bei Demenz treten solche Veränderungen aber besonders ausgeprägt auf. Von einem solchen Schicksal Betroffene sind gewiss zunehmend ängstlich, reizbar oder misstrauisch. Die Erkenntnis, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren, ist mit ein Grund für diese Veränderungen. Es kann auch sein, dass sich Bekümmerte sehr ungewöhnlich oder unpassend verhalten. Wenn etwa der Grossvater dem Enkel etwa statt der gewohnten Tafel Schokolade eine Hunderternote in die Hand drückt.

In der Schweiz leben derzeit 8,2 Millionen Menschen, davon leiden etwa 116 000 an Demenz. Fast sind mit etwas mehr als 1,4 Prozent schon all zu viele Betroffene. Und aufgrund der demografischen Entwicklung wird vermutet, dass sich diese Zahl in etwa 30 Jahren verdoppeln wird. Selbstverständlich müssen wir uns auf die Herausforderung vorbereiten, betroffenen Menschen zur Seite zu stehen. Doch wir sollten uns über die gesunden 98,6 Prozent der Gesamtbevökerung sehr freuen.

 


Guido Blumer,
22.6.2015, 114. Jahrgang, Nr. 173.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.