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«Wandzeitung» vom 21.1.2016:

Ein geliebtes Menschlein bleibt einem immer ein geliebtes Menschlein, ob es lebt oder ob’s tot ist:

Trauer ist wohl das heftigste Gefühl.

Man liebt einen nahen Menschen, auch einen verstorbenen. Und weil man freilich ein Nichts nicht lieben kann, muss doch noch irgendwas vom entschwundenen geliebten Wesen da sein, hier bei uns auf Erden, unweit, besser noch: ganz nah. Man sieht zwar nichts und hört gar nichts, aber man fühlt etwas, ganz tief im Herz geborgen. Und an dem, was wir Seele nennen, bemerkt man die Nähe zu diesem wahrgenommenen Unerklärbaren. Man muss wohl nach dem Erkalten dieses reglosen Herzens in nächster Nähe in eine unbekannte, gar fremde Ebene aufsteigen, zumindest eine: Wenn’s gefühlt und verstanden wird, dass – als Beispiel bloss – ein eigenes Kind wieder zu Erde geworden ist, dann hat das immerhin etwas Tröstliches. Und bleibt der hier gebliebene Mensch offen für das Unergründliche, wird er wohl seine Einsamkeit überwinden, indem er das, was er sehr nahe fühlt, auch wirklich in seiner Nähe hat und tiefgründig erlebt.

Siehe die Trauer, sie ist den Trauernden einziger Trost, weissagte weiland als grosser Tröster, der steirische Dichter Robert Hamerling. Aber nein: Wer durchlässig bleibt und die Offenheit für auch schmerzendes Unbekanntes pflegt und vielleicht auch Unheimliches erkennen will, wird Trauer niemals als Leiden um sich selbst fühlen. Auch wenn ein geliebtes Wesen in der sichtbaren Welt fehlt, es nur in einer fernen ungeläufigen Sphäre gefunden werden kann, also nur einer unerklärbaren mentalen, wird man Trost und Freude finden. Wenn etwa das Kind vor den Eltern stirbt, steht freilich viel verstandesmässige Arbeit an. Und weil Trauer wohl die stärkste menschliche Kraft ist, packt ein mental gesunder Mensch diese psychische Riesenaufgabe voll. Einfach weil er mehr wissen will, als ab der Kanzel gepredigte Weisheiten, die vor allem bewirken, dass man Verzweiflung begegnet und sich nur elend auf dem Boden wälzt.

Doch: «Jetzt ist es Zeit für eine professionelle Abklärung Deiner allzulange andauernden Trauer. Die triste Haltung, Deinem Leben gegenüber, ist verhaltensauffällig!» Sowas sagt keinesfalls eine kalte Gestalt. Aber ups, wen interessiert es schon, wann Trauer zu Ende gehen muss? Und vor allem: Für wen – ausserhalb der berührten Familie – ist denn das andauernde Leiden von Belang. Das Leben ist für viel mehr da, als nur für inhaltslose Phrasen. Wir haben hier auf der endlichen Welt etwas für die Unendlichkeit zu tun, die unvorstellbare, beängstigende.

Mit dem vollen Respekt für jede Art irdischen Glaubens, bleibt halt doch der Durst nach Wissen, nicht besser Wissen, sondern Tiefe ergründen. Wenn man mit dem Tod des geliebten Kindes gestraft oder geplagt oder bedacht wird, wird man immer auch mit Überraschendem, Unerwartetem, Erfüllendem beschert. Doch ja, der Schmerz bleibt trotz allen gewährten Einsichten. Und ohne Tränen geht’s halt auch aller Tapferkeit entgegen nicht. Nur: Was wäre das denn für eine schlamperte Welt, wenn man dem körperlich verlorenen Nachkommen sehnsuchtslos gedenken würde, ihm keine Träne nachweinen könnte, wollte oder dürfte. Bei aller erreichten Gefasstheit und Vernunft: Diese verkehrte Welt verlangt von in solcher Weise betroffenen Menschen auch noch Demut vor der gestellten Aufgabe.


Guido Blumer,
21.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 21.

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