Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 15.4.2016:

Russland im China-Rausch:

Ein Freund, ein guter Freund?

Russland hat kaum Freunde, mit der halben Welt hat es sich zerstritten, und die Russen wissen kaum noch, wohin sie in die Ferien fliegen sollen. Zuerst gingen wegen der Krim die Ukraine und der ganze (böse) Westen flöten. Eh zu teuer – der Rubelsturz tat sein Übriges. Dann explodierte der russische Ferienflieger über dem Sinai – Ägypten gestrichen. Kurz darauf flog die Türkei aus der Ferien-, beziehungsweise Freundesliste wegen des idiotischen Abschusses eines russischen Kampfjets über Syrien. Die Tomaten und Äpfel werden alle zwei Monate von anderswo her importiert – denn wer Russlands Zorn entfacht, wird gnadenlos mit Embargo belegt.

Doch wer sich mit Russland gut stellt, hat es gut, dem wird gleich alles Gute angedichtet, dem soll es an nichts fehlen! Zum Beispiel China, das in Russland einen regelrechten, wenn auch von oben inszenierten Boom erlebt. China schickt Touristen, China investiert, China kauft Gas. Entsprechend wird dem Land des marktgerechten Lächelns mit Empfängen, Ausstellungen Festivals gehuldigt. Das staatliche russische Fernsehen erforscht zusammen mit seinem Millionenpublikum die Bräuche und Sehenswürdigkeiten im Reich der Mitte. China ist interessant, China ist cool, China ist einfach in! Das wirkt offenbar, denn in einer Umfrage unter Russen wurde China kürzlich zusammen mit Weissrusssland als «freundschaftlichste Nation» klassifiziert.

Russland braucht Chinas Freundschaft, das ist richtig, aber umgekehrt wohl kaum. Vielleicht ist Russland für die gegenseitige Bestätigung der autoritären Politik gegenüber den westlichen Demokratien ganz nett. Händeschütteln, Schulterklopfen – aber das ist auch schon alles. Das reiche China investiert in der ganzen Welt und spielt mit Vergnügen das Zünglein an der Waage der Weltpolitik. Russlands Abhängigkeit kommt da wie gerufen. Auch von russischer Seite ist die Euphorie eher Show als Wirklichkeit. Ein populärer russischer Witz bringt die Sache auf den Punkt: Im Jahr 2020 meldet ein Nachrichtensprecher: «An der finnisch-chinesischen Grenze keine besonderen Vorkommnisse.»

Das ist zwar ein nur Witz, und die letzten Grenzstreitigkeiten zwischen Russland und China im Amur-Gebiet liegen ein halbes Jahrhundert zurück. Doch tatsächlich ist die russische Seele voller Ängste und Ressentiments gegenüber dem «chinesischen Drachen», der bald ganz Russland bis an die finnische Grenze verschlingen könnte. Die meisten Russen werden ihnen während eines Gesprächs in der heimischen Küche erklären, die Chinesen seien voller Heimtücke und warteten nur auf den Moment, um Russland in den Rücken zu fallen.

Wirtschaftlich gesehen «knabbert» China tatsächlich bereits an den unterenwickelten russischen Fernostgebieten. Russland fördert die Entwicklung, indem es chinesischen Investoren Land und Privilegien gibt, während sich russische Unternehmen mit Bürokratie und Korruption herumärgern müssen. Ausserdem wandern viele Russen aus Fernost nach China aus. Auf diese Weise findet bereits eine schleichende Einverleibung des Gebiets durch China statt, und ein Konflitk ist jederzeit möglich. «Ein Freund bleibt immer Dir Freund, und wenn die ganze Welt zusammenfällt.»

 


Eugen von Arb,
15.4.2016, 115. Jahrgang, Nr. 106.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.