Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 25.4.2016:

EIN SATZ:

Böhmermannsche Dörfer.

Was darf die Satire? Alles. KURT TUCHOLSKY.

 

Einmal mehr kriecht eine seltsame Debatte durch die deutschen Gazetten. Tucholsky ist nicht nur zu Lebzeiten missverstanden worden, sondern wird es auch nach seinem Tode.

Da mischt ein Sendungsmacher zwecks Schmähung – und es ist einerlei, ob er eine vom Zeitgeist geliebte oder verachtete Figur schmähen will – aus der untersten Schublade der Unterstellungen vom Geschlechtsverkehr mit Ziegen und Schafen bis zu Kindern ein Konvolut des Hasses und defäziert es auf dem zweiten öffentlich-rechtlichen Kanal.

Was regt sich daraufhin im Deutschen, der von der Aufarbeitung des Faschismus nur begriffen hat, dass heute gegenüber damals alles gut sein muss oder mindestens gut gemeint? Dem Deutschen, der nur schwarz-rot-gold sehen kann? Und keine andere Farben.

Die Verabsolutierung der Meinungsfreiheit. Wie zuvor der Wert der Aufnahme von Flüchtlingen um jeden Preis. Und in dunklerer Zeit die Ausrottung einer ganzen Religionsgemeinschaft. Werte aber sind niemals absolut. Die deutsche Denktradition, welche über Kant, Goethe, den National- und den Realsozialismus direkt in die politisch korrekte Misere geführt hat, neigt zur Verabsolutierung. Und bei der Kanzlerin, die im sozialistisch-absoluten Wertekanon sozialisiert wurde, wird das besonders manifest. Ideologisierung pur, unabhängig von der politischen Richtung.

Die deutsche Denktradition kann Differenzierung von Werthaltungen ablehnen. Um der Relativität der Realität gerecht zu werden, bleibt dann aber nur der Ausweg der Doppelmoral. Durchexerziert beim absoluten Recht auf körperliche Unversehrtheit des Entführers, der zur Bekanntgabe des Aufenthaltsorts des Entführten selbst dann nicht mit Gewalt gezwungen werden darf, wenn der Entführte infolge dadurch verunmöglichter medizinischer Massnahmen sterben würde.

Es ist jedoch nicht Absolutheit gut gemeinter Werte gefragt, sondern Werteabwägung. In einem Rechtsstaat nehmen sie regelmässig die Gerichte wahr, die dabei zugegebenermassen nicht immer eine glückliche Hand beweisen. Denn auch sie stehen in der absoluten Denktradition. Und die den Zeitgeist prägende zusätzliche Verabsolutierung von Positionen geht an ihnen nicht spurlos vorbei.

Die notwendige Abwägung der Werte steht nicht im Widerspruch dazu, dass Satire alles darf. Nur muss es Satire sein. Die Kunst darf alles unter der Voraussetzung, dass sie Kunst ist. Wenn ich meinen Haufen in die Marktgasse setze, kann ich mich nicht auf die Kunstfreiheit berufen. Und kassiere zu Recht eine Busse. Ohne dass ich mich als Märtyrer für die Freiheit feiern lassen darf, die schon Wilhelm Tell samt Armbrust angeblich hochgehalten hat.

Böhmermann, Willkommenskultur und andere schwärende Wunden des Zeitgeists bestimmen den aktuellen Kurs in Deutschland. Wenn sie aufplatzen, heissen sie AfD oder noch schlimmer.

Drehen wir uns zur Seite, schlafen eine Runde und träumen von Milch, Schokolade und davon, dass wir verschont bleiben. Doch wir erwachen jäh. Deutschland liegt näher als wir denken. Und wir sprechen und denken deutscher als uns lieb ist.


Adrian Ramsauer,
25.4.2016, 115. Jahrgang, Nr. 116.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.