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«Wandzeitung» vom 8.1.2016:

Luxus:

Der Weg zur Arroganz ist ganz kurz.

Wir sind seit 15 Monaten unterwegs. Wir übernachten meistens bei Couchsurfing-Hosts, in Billighotels oder Hostels. Das hat nicht nur damit zu tun, dass das Übernachten bei Einheimischen Spass macht und das Budget begrenzt ist, sondern auch mit einer vermutlich kulturell geprägten Mentalität der Genügsamkeit. Obwohl wir als Schweizer ja sehr reich sind, scheint mir der sparsame Umgang mit den Finanzen etwas Schweizerisches zu sein. Dem Durchschnittsschweizer liegt das Protzen und Verschwenden nicht und deswegen sind ihm Luxushotels suspekt. Er gehört da nicht hin. Er empfindet sich nicht als reich, auch wenn sich sein finanzielles Potenzial in fernen Ländern schnell vervielfacht.

Und so fühlte ich mich denn auch wie eine Hochstaplerin, als wir von den ultrazuvorkommenden und eleganten Receptionistinnen in einem Viersternhotel in Hoi An einen Willkommensdrink serviert und die Stadt erklärt bekamen. Ich bin gar nicht die, für die ihr mich hält, dachte ich. Doch andererseits, ich bezahlte das Zimmer und gehörte also zu diesem Club. Auch wenn ich wie ein Höhlenmensch aussah mit den schlammverspritzten Kleidern, stinkenden, nassen Schuhen und wirrer Sturmfrisur. Wir waren mit dem Motorrad unterwegs gewesen.

Das Zimmer war das beste und perfekteste Hotelzimmer, das ich jemals gesehen hatte. Es war so gross, dass man es auch als Yogastudio hätte benutzen können und es war blitzblank. Das Bett war ein weisser, weicher, flauschiger Traum. Es gab eine Badewanne, Bademäntel, einen Balkon, einen Flachbildfernseher und einen Schreibtisch mit einem Computer drauf. Ich wollte für immer in diesem Zimmer wohnen bleiben. Doch das Beste kam erst noch. Ein exquisites Frühstücksbuffet. Ein Schlaraffenland der Köstlichkeiten, in dem wir uns wie kleine Kinder austobten.

Nach dieser Erfahrung fanden wir plötzlich Gefallen an Luxushotels und recherchierten, wo wir das nächste Mal in einer solchen Wohlstandsbude unterkommen könnten. Wir fanden ein Hotel in einem kleinen Touristenort am Meer, wo es aber keine Touristen gab, weil es Winter war. Ein guter Grund uns in einem teuren Zimmer einzumieten, wo es eine warme Dusche und sauberes, bequemes Bett gab. Doch schon bald bemerkte ich, dass ich nicht mehr mit dem kindlichen, freudigen Übermut auf den Komfort reagierte wie in unserem ersten Hotel. Stattdessen hatte ich einiges auszusetzen. Die Heizung war nicht warm genug. Der Lift ging nicht und das Frühstücksbuffet war gar kein Buffet, sondern nur ein Frühstücksei und ein paar trockene Brote. «Das ist eine Frechheit», schoss es mir durch den Kopf. Ja. Wirklich. Ich dachte wirklich, wenn auch nur für eine Millisekunde, das sei eine Frechheit. Was im einen Moment noch ein Geschenk war, das man dankbar entgegennahm, war im nächsten Moment schon eine Selbstverständlichkeit, auf die man ein Anrecht hatte. Verrückt. Der Weg von der Demut zur Arroganz ist manchmal nur ganz kurz.


Anita Blumer,
8.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 8.

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