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«Wandzeitung» vom 8.11.2016:

Alt Pirineu:

Hundehaare & bislen wo man Lust hat.

Als wir durch eine gewundene Strasse immer tiefer in die Berge der katalanischen Pyrenäen vordrangen, machten wir «Ah» und «Oh» und drehten uns nach allen Seiten um, um das wilde Panorama zu bestaunen, das aus einem Winnetou-Film hätte stammen können. Steil emporragende, braune Felsen, Wasserfälle, grüne Tannenwälder. Wer hier aussteigt, dachte ich, als ein Teenager, der sich zuvor im Bus einen Joint gedreht hatte, in einem der kleinen Dörfer ausstieg, der wohnt tatsächlich am Arsch der Welt. Verglichen damit ist das Sernftal im Glarner Hinterland Agglomeration. Als wir in Llavorsi auf Raimon trafen, waren wir fröhlich und aufgeregt. Raimon stieg aus seinem dunkelgrünen Arbeitsjeep. «Agents Rural» stand auf seinem ebenfalls dunkelgruenen Pulli. Wir stiegen in sein privates Auto, ein zugemüllter alter Lieferwagen, in dem es nach nassem Hund roch. So muss es sein in den Bergen, dachte ich. Raimon fuhr die enge Bergstrasse hoch wie ein Irrer. Wir sollten sagen, wenn es uns schlecht werde, sagte er. Raimon zeigte auf die verfleckte Matratze. Die sei schon gewaschen. Die dunkle Verfärbung sei ein Ölfleck, der nicht mehr ausgehe. Wir schliefen in einem Wohnwagen. Die Luxusvariante, verglichen mit den restlichen Möglichkeiten auf dem Gelände. Raimon lebt auf einer Baustelle, umgeben von Wald und Bergen. Er schläft in einem besseren Unterstand, der eigentlich fürs Holz wäre, aber seit vier Jahren seinen ganzen Hausrat beheimatet. Ich glaube Raimon schläft sowieso lieber draussen. Deswegen macht es nichts, dass der Bau oder die Renovation seines Hauses, einer 300-jährigen Steinruine, die er vor ein paar Jahren gekauft hat, sich über Jahre hinzieht. Raimon ist eine Mischung aus Bergler und Hippie. Er spricht schlecht englisch, aber fliessend spanisch. Seine Muttersprache ist katalanisch. Er reist viel. Brasilien, Indonesien, Marokko, Baltikum und diesen Winter nach Indien. Er ist 40, Single und raucht jede Menge Haschisch. Er kann gemäss eigener Aussage nicht länger als drei Tage in einer Stadt sein und seine Hündin Lila schläft mit ihm im Bett. Er hätte schon gern eine Freundin, aber es sei schwierig, jemanden zu finden, der so leben wolle. Raimons Frühstück besteht aus einem Liter aufgekochter Reismilch, zu der er Schokoladenkekse isst, die er, immer gleich zwei auf einmal, in die Milch tunkt und verschlingt. Ab und zu gibt es einen Keks für Lila, die neben uns auf der Bank sitzt, als wäre sie ein Mensch oder eine Katze. Raimon ist ein praktischer Mensch. «Pissen könnt ihr überall», erklärte er mir. Und so bisleten wir uns durch sein gesamtes Terreno, wie Lila. So schnell wird man die Fesseln der Zivilisation also los. Bald fragt man sich, was eigentlich so schlimm ist an Hunde- und Katzenhaaren, die einen bis in den Teller verfolgen oder an Schweissgestank und chronisch verdrecktem Esstisch? Man findet keine überzeugende Antwort.

Zurück in der Zivilisation, Kaffee trinkend in Barcelonas Multikulti-Viertel Raval, vermisse ich Raimon und die Freiheit seines kleinen, chaotischen Reiches.

 

 


Anita Blumer,
8.11.2016, 115. Jahrgang, Nr. 313.

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Standpunkte:

14.10.2022, 20:26 Uhr.

jesswarma schrieb:

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16.5.2022, 02:59 Uhr.

impurge schrieb:

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