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«Wandzeitung» vom 23.1.2016:

Die Eulachstadt ohne Eulach:

Ein anderes Mass für den Schuldenberg.

In einem alten chinesischen Sprichwort heisst es: «Was die Lunge nicht ausscheiden kann, muss die Niere ausscheiden, was die Niere nicht ausscheiden kann, muss der Darm ausscheiden, und was der Darm nicht ausscheiden kann, muss die Haut ausscheiden. Wenn auch die Haut dann überlastet ist, führt dies zum Tod.» Bekannter sind die Sprüche: «Das verschlägt mir den Atem», «das geht mir an die Nieren», «mir kocht die Leber», «das schlägt mir auf den Magen» oder «das geht mir ans Herz». Wenn ich die Eulach betrachte, so geht sie mir ans Herz. Fröhlich sprudelnd erreicht sie von Elgg her kommend Oberwinterthur, den Stadtteil mit dem Zentrum für das Gedächtnis, der römischen Siedlung. Vorher durchfliesst sie den Eulachpark in der Grüze, der einstmal ein Kraftplatz war. Jetzt wird er überbaut mit Klötzen wie die der Giesserei, welche sich Häuser nennen. Nur wer den Intellekt eines Stararchitekten teilt, scheint sich für diese Moloche gegenseitig Awards und Preise zu schenken. Doch zurück zur Eulach: Mehrere hundert Meter weiter fliesst die Eulach, schwer eingebettet am Schwimmbad Geiselweid vorbei, durch ihren ersten unterirdischen Kanal beim Schleifeareal und erreicht, in einem tiefen Graben hinter der Kaserne und ohne Leben im künstlichen Bett, die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. Hier verschwindet sie, nochmals kurz geöffnet auf der Höhe des Neumarkts unter den Häusern, um vollends vergessen zu werden. Es mag wie ein Hohn klingen, dass die kleine Öffnung bei der Kantine der Fachhochschule und dem gegenüberliegenden Restaurant früher dem gerichtlichen Tod durch Ersäufen diente. Diese Urteile wurden im Gerichtssaal des Ratshauses gefällt, also genau in dem Saal, wo unsere Exekutive und Legislative heute ihre Feste feiern.

Die Stadt Winterthur hatte die Eulach bereits im Industriezeitalter vergessen. Denn dort wo früher das Volkshaus stand, das in einer Nacht- und Nebelaktion abgebrochen werden sollte, um dem Archhof zu weichen, plätscherte noch vor Sulzer + Co die Eulach wie ein kleiner See. Doch im Zeichen des wirtschaftlichen Aufbruchs wich sie der Bahn. Kein Wunder, dass die Archhöfe mehr Energie verlieren als gewinnen und die Läden in Pleite gehen oder sich quer subventionieren. Eine eingekerkerte Eulach ist wie die Niere eines Menschen im Betongehäuse. Sie kann dem Körper kein Gift mehr entziehen. Der künstliche Tunnel führt das tote Gewässer ohne weitere Ausscheidung unter der Vogelsangstrasse und Bahn hindurch, direkt hinein ins Sulzerareal an die Pionierstrasse zum Superblock, um später dann im Neuwiesenquartier bis Wülflingen-Dorfplatz wieder im engen, aber freien Kanal abfliessen zu können, bevor die Eulach im Wässerwiesen die Töss erreicht.

Wen wundert’s also, dass Winterthur dünnhäutig und überlastet geworden ist. Denn mit dem Ausschluss der Eulach haben wir die schlechtmöglichste Wahl getroffen – in der Einsicht, dass ihre Einkerkerung Gedanken und Gefühle tötet. Dies beinhaltet die schmerzliche Erfahrung, dass es Grenzen gibt und dass alle Beschränkungen, die wir uns jetzt auferlegen, nur in der Vorstellung existieren, einen lästigen Bach beseitigt zu haben.


Heiner Dübi,
23.1.2016, 115. Jahrgang, Nr. 23.

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