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«Wandzeitung» vom 28.2.2016:

Nicht nur dank der Begegnung von Papst und russischem Patriarchen:

Es geht vorwärts in der Ökumene.

Am 15. November 2015, einem Sonntagabend, besucht Papst Franziskus die evangelisch-lutherische Christuskirche in Rom, in der die deutsche Gemeinde zusammenkommt. Ich selber habe auch schon zweimal in dieser Kirche gepredigt, weil ich den früheren Pfarrer dort kannte – doch von mir ist leider keine Marmortafel angebracht wie von den Päpsten. Jedenfalls wird zuerst eine Andacht gefeiert, in der der Papst auch schon den vorbereiteten Text der Ansprache nicht vorliest, sondern frei redet. Dann folgt eine Aussprache: Es dürfen (drei zuvor eingereichte) Fragen gestellt werden; Umgangssprache ist italienisch.

Die zweite Frage formuliert eine Frau mittleren Alters etwa so: «Mein Mann ist Italiener, katholisch, ich bin Deutsche und evangelisch. Wir sind seit vielen Jahren glücklich verheiratet und teilen fast alles im Leben. Nur beim Abendmahl und in der Eucharistie sind wir getrennt. Wie sollen wir damit umgehen?» Der Papst legt demonstrativ die Blätter weg, auf denen die mitgebrachten Antworten stehen, dankt der Frau für die Frage und sagt sinngemäss: «Das ist eine schwere Frage für mich, vor allem wenn so grosse Theologen wie Walter Kasper da sind (schaut zu den vier anwesenden Kardinälen, darunter auch der Schweizer Kurt Koch). Es gibt Unterschiede in der Lehre. Aber was ist schon die Lehre? Was bedeutet: «eine Taufe, ein Glaube, ein Herr» (Zitat aus dem biblischen Epheserbrief)? Zudem sind sie verheiratet, bilden eine Einheit. Ich habe nicht die Kompetenz, neue Regeln zu verkünden.» Dann kommt der entscheidende Satz (im Originalton): «Parlate con il Signore e andate avanti!» («Sprecht mit dem Herrn und geht vorwärts!»).

Das heisst in gewöhnlichen Worten: Entscheidet nach eurem Gewissen. Wunderbar! Diesen Ratschlag haben schon 1997 im Ökumenebrief für den Kanton Zürich der oberste Reformierte und der oberste Katholik damals (Reich und Henrici) den Menschen in konfessionell gemischten Ehen nahegelegt. Die Schweizer Bischofskonferenz hatte einen solchen Mut nie, im Gegenteil! Jetzt hat sie der Papst kurzerhand überholt. Als ich von dieser Szene in Rom eine Woche später beim Vorbereiten unseres ökumenischen Pfingsttreffens erzählte, war die reformierte Pfarrerin aus Neuenburg so begeistert, dass sie vorschlug, das Papstzitat zum Thema unserer Zusammenkunft im Mai zu machen. Wir haben dann am genauen Wortlaut noch länger herumgefeilt. Herausgekommen ist schliesslich als Pfingstmotto: «Höre hin und mache dich auf – écoute et vas-y!» Ist das nicht überhaupt ein sinnvolles Leitwort für unsere Lebensorientierung: auf die innere Stimme sowie den Anruf der Situation hören und dann entsprechend handeln?

Schon in der frei gesprochenen Predigt während der Andacht hat der Papst gleichsam einen Bann gebrochen. Er hat aufgefordert, um die Gnade der «versöhnten Verschiedenheit» zu beten. Ökumene nicht mit dem Ziel der endgültigen «sichtbaren Einheit» zu belasten, sondern schon die «versöhnte Verschiedenheit» als Geschenk zu betrachten – so geht es vorwärts in der Ökumene!


Hugo Gehring,
28.2.2016, 115. Jahrgang, Nr. 59.

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