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«Wandzeitung» vom 22.6.2017:

Schönheitsmedizin:

Schönheit als Menschenrecht.

In einem Interview, das im Magazin des «Tagesanzeigers» veröffentlicht wurde, fragt der aus dem Iran stammende Schönheitsarzt Dr. Simon Ourian, warum man die Möglichkeiten der Chirurgie nicht nutzen sollte, wenn man mit Anlagen geboren worden sei, welche die Gesellschaft als unattraktiv ansehe. Eine gute Frage. Ourian zog den Vergleich zu sozialen Klassen. Warum sollte jemand, der arm geboren worden ist, nicht alle Möglichkeiten nutzen, um wohlhabend zu werden? Wenn ich mich frei mache von überholten Moralvorstellungen («Man sollte doch zufrieden sein mit dem, was man von der Natur bekommen hat»), dann drohen mir in dieser Frage tatsächlich die Argumente auszugehen. Es scheint folgerichtig, dass jeder Mensch alle verfügbaren Möglichkeiten nutzen sollte, um seine Chancen auf ein erfolgreiches Leben zu optimieren. Doch diese Argumentationsweise greift aus zwei Gründen zu kurz. Erstens beruht sie auf der eindimensionalen Annahme, dass Erfolg nur durch Anpassung möglich sei. Und zweitens stärkt sie ein System, während sie es gleichzeitig als ungerecht anerkennt. Wenn es unfair ist, dass schöne Menschen bessere Jobchancen haben, als diejenigen Menschen, die von der Gesellschaft als hässlich wahrgenommen werden, dann besteht die Lösung wohl kaum darin, dass alle Menschen schön werden. Das wäre ja, wie wenn man die Rassendiskriminierung eliminieren wollte, indem man alle dunkelhäutigen Menschen weiss machen würde. Dass es technisch möglich ist, zeigte uns Michael Jackson bereits vor Jahrzehnten. Dass es nichts bringt auch.

Das Thema erinnert mich an Nilgül. Eine superschlaue, knapp 20-Jährige, lesbische Studentin aus der Türkei, bei der wir ein paar Tage wohnten. Sie hielt nicht viel vom Sozialstaat. Sie fand, dass Umverteilung Symptombekämpfung, nicht aber die Lösung für das Problem der sozialen Ungleichheit sei. Ihrer Meinung nach stärkte der Sozialstaat die Akzeptanz für soziale Ungleichheit. Dass in unserem kapitalistischen System einige wenige sehr viel Geld verdienen, während eine grosse Mehrheit mehr oder weniger ums Überleben kämpft, wird viel eher akzeptiert, wenn der Staat bei den Gewinnern etwas wegnimmt und an die Verlierer verteilt. Dabei müsste man sich fragen, ob ein System welches diese Ungleichheit hervorbringt, überhaupt etwas taugt.

Und so muss man sich auch fragen, ob es Sinn macht, wenn ein Mensch sein hart verdientes Geld, seine Zeit und seine Energie damit verschwendet, sein Äusseres dem gerade vorherrschenden Schönheitsideal anzupassen. Das Problem ist ja nicht, dass er diesem Ideal nicht entspricht, sondern dass er diesem Ideal zu entsprechen hat. Während sich also die Superstars in L.A. mit der gleichen Selbstverständlichkeit unters Messer legen mit der sie duschen (so sagte es Dr. Ourian sinngemäss in dem Interview), unterstützen sie eine Welt, in der krumme Nasen, kleine Brüste, hängende Pobacken und ganz allgemein das Alter für unstatthaft erklärt werden. Auf diese Weise wird der Platz, an dem der Mensch sich selbst sein darf, mit jeder OP ein wenig kleiner. Das müsste man mitdenken, wenn man bei dem fröhlichen Schnippeln, Absaugen und Aufblasen mitmacht.


Anita Blumer,
22.6.2017, 116. Jahrgang, Nr. 173.

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