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«Wandzeitung» vom 19.3.2017:

Geniessen oder Fremdschämen:

Nochmals Hausi ...

Einiges habe ich ja über Hausi Leuteneggers Lebensregeln schon geschrieben, ein ganz wesentlicher Punkt kommt erst heute, da mir beim letzten Mal die Zeilen ausgegangen sind: Leben und geniessen, bei allem Alltagskram und der Routine die Lebensfreude nicht zu vergessen. Hausi machen auch die kleinen Dinge schon Freude, zum Beispiel das Lächeln der Bedienung im Restaurant, wenn er ein grosszügiges Trinkgeld gibt. Und da übe mich oft ziemlich ausgiebig im Fremdschämen.

Es kommt immer wieder und in letzter Zeit öfter vor, dass ein Kollege oder eine Bekannte mich zu einem Glas einlädt (ja, das ist auch Genuss) und ich mich beim Bezahlen dann ernsthaft frage, warum mein Gegenüber nur 20 Rappen (in Worten ZWANZIG) liegen lässt, obwohl unverlangt und unberechnet noch zwei Schalen Chips auf den Tisch gekommen sind, der Service freundlich und aufmerksam war. Weil ich relativ schüchtern bin, mache ich dann keine Bemerkungen, das könnte die Stimmung verderben. Aber bei mir ist es eher wie bei Hausi: Ich freue mich am Lächeln der Kellnerin und wäre grosszügiger. Spendabler bin ich auch wegen den eher bescheidenen Löhnen des Servicepersonals.

Das Lohnbuch, das vor ein paar Tagen herausgekommen ist, gibt detailliert Auskunft darüber, welche Berufe am meisten und welche am wenigsten verdienen. Taxifahrer zum Beispiel sind bei 3200 und Chefärzte bei 13000, (was ich eher als Untergrenze verstehe). Am besten kommen die Botschafter und ihre Sekretäre weg, und die sind dann eher weniger auf Trinkgelder aus. Interessant am Lohnbuch Schweiz, das vom Amt für Wirtschaft und Arbeit herausgegeben wird, dass gewisse Löhne darin fehlen – oder ich habe sie jedenfalls nicht gefunden: einige hohe Posten in Politik und Wirtschaft. Einige Medien sind da bedeutend weniger zurückhaltend.

Ich bin der Meinung, dass man beim Service im Restaurant gerne und richtig aufrunden darf und soll. Wenn man denn gerne auswärts isst und trinkt, sollte ein grosszügiges Trinkgeld ja noch drin liegen. Warum Gäste beim Wein und beim Essen zugeschlagen haben und dann beim Trinkgeld sparen, kann ich schlecht verstehen. Geiz ist geil, das hört man ja immer wieder. Und so lange es einem lediglich persönlich betrifft: warum eigentlich nicht. Aber Geiz gegenüber Mitmenschen, die einen schönen Obolus nicht nur schätzen, sondern auch nötig haben, das missfällt mir. Was denn diese Menschen beim Geizigsein so richtig geniessen, entgeht mir.

Einer betagten und betuchten Dame durfte ich kürzlich bei der Auswahl eines Hotels in Paris behilflich sein. Ich nahm an, dass es eher ein gehobener Standard sein sollte. Sie hat mir entgegengehalten, dass sie keine fünf Sterne brauche, eine Jugendherberge würde genügen. «Den Luxus habe ich ja zuhause.» Stimmt. Dann kann man auch zuhause bleiben. Geniessen ist für mich nicht das Darben und Knausern auswärts. Das macht mir wenig Spass.

Da macht es Hausi besser: Wenn er auf den Putz haut, dann gleich richtig, ob das in Genf ist oder am vergangenen Opernball, er geniesst es vorbehaltlos. Seine Regel ist einfach, klar und klug: «Arbeite hart, lebe gesund, und sei streng mit dir. Aber geniesse das Leben.»

 


Andre Bernhard,
19.3.2017, 116. Jahrgang, Nr. 78.

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