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«Wandzeitung» vom 9.4.2017:

EINSATZ:

Frühlings Entsetzen.

Wenn du merkst, dass du zur Mehrheit gehörst, wird es Zeit, deine Einstellung zu revidieren. MARK TWAIN.

Nicht wahr, wir freuen uns alle über die Lichtblicke am Horizont, die unser Dasein erhellen. Und solch Erhellendes scheint uns immer dann auf die Glatze, die Locken oder ins Gemüt, wenn wir einen politischen Sieg erringen. So beispielsweise, wenn der Kandidat der Partei, der wir angehören, die wir unterstützen oder mit der wir uns zumindest manchmal identifizieren, pompös ins Amt gewählt wird. Je heikler wir in politischen Fragen sind, desto seltener geschieht es, und desto heller erstrahlen Glatze, Locken oder Gemüt, wenn der statistisch unwahrscheinliche Fall eintritt.

In der kleinen, beinahe grossen Stadt, die wir alle gut kennen, herrscht nicht Freude, wie wir wissen, sondern die Askese. In gut zwinglianisch-protestantischer Manier. Mit Ausnahme des Viertels hinter – bzw. je nach Sichtweite vor – den Gleisen, in welchem sich im 19. Jahrhundert die katholische Diaspora eingerichtet hat. Und in der die institutionalisierte Doppelmoral ein wenig mehr Lebensfreude ermöglicht. Bzw. ermöglichen sollte, denn auch die Freude kommt im Neuwiesenquartier ennet den Gleisen nur in homöopathischen Dosen vor.

Aber ich schweife ab. Wie immer. Eine asketische Grundhaltung erleichtert uns die regelmässigen politischen Niederlagen. Bei jenen, bei denen sie mit einem gerüttelt Mass an Masochismus gepaart ist, gibt es sogar so eine Art Freude. Statt von Masochismus spricht man auch von realpolitischem Unverstand, verbrämt als Prinzipientreue. Und bei den so Funktionierenden scheint nie auch nur ein Sonnenstrahl des Erfolgs auf die Kopfhaut. Oder sollten doch einmal Glatze oder Locken kurz erhellt werden, schiebt sich sogleich die erwartete düstere Gewitterwolke über die Frisur, und die Stirn runzelt sich.

Bei uns andern, die wir täglich mehr oder weniger flexibel durchs Leben mäandrieren, liegt aber schon mal ein Triumph drin, ein befreiendes Lachen oder zumindest fröhliches Lächeln über einen erreichten Erfolg. Und der politische Erfolg in der Demokratie heisst bekanntlich, zur Mehrheit zur gehören.

Wenn da nur nicht dieser MARK TWAIN, einer der grossen Spötter unter der Sonne, mit seinem unsäglichen Aphorismus den Triumph trübte.

Nicht einmal die Freude der Mehrheit, die sich in der Ablehnung schädlicher Staatslenker einig ist, lässt er uns. Und so können wir uns nicht darüber freuen, dass die gesamte vernünftige Welt den amerikanischen, den türkischen, den russischen, den ungarischen – die Beispiele lassen sich vermehren – Präsidenten übel findet.

Ausser, wenn wir sicher sein können, dass die Vernünftigen nicht die Mehrheit bilden. Wenn dem aber so ist, erhellt eh kein Sonnenstrahl mehr unser Haupt, und es pfeift nur noch der Hurrikan.

 

 


Adrian Ramsauer,
9.4.2017, 116. Jahrgang, Nr. 99.

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