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«Wandzeitung» vom 27.6.2017:

Eines Bild jenes brennenden Hochauses in London, des Grenfell Towers:

Die Stärke einer Gesellschaft.

Wir leben in einer schnelllebigen (Medien-)Welt. Die Reizüberflutung ist allgegenwärtig. Oftmals habe ich den Eindruck, dass wir gar nicht mehr verarbeiten können, was an Informationen, an Neuigkeiten, an Bildern herumschwirrt. Und trotzdem gibt es immer wieder Bilder, die sich aus diesem Meer von Eindrücken abheben. Bilder, die bestehende Diskussionen in eine neue Richtung lenken. Oder die neue Diskussionen entfachen, weil sie sich in unseren Köpfen festsetzen und man nicht mehr so schnell vergisst.

Eines dieser Bilder ist jenes des brennenden Hochauses in London, des Grenfell Towers, der Mitte Juni abbrannte. Die Wucht und Geschwindigkeit, mit der sich die Flammen den Nachthimmel empor schlangen, erinnerte mich an meine Jugend, als wir einen Ping-Pong-Ball, der aus dem rasch entflammbaren Zelluloid bestand, anzündeten, was eine grosse Stichflamme zur Folge hatte. Die Ohnmacht der eingesperrten Menschen in den oberen Stockwerken wie auch der Feuerwehrleute sind nicht so einfach zu verdrängen und erinnerten an 9/11. Es ist immer heikel, bevor die Umstände geklärt sind, rasche Analysen zu machen und womöglich falsche Schlüsse zu ziehen. Die Diskussion, die sich im Nachgang zu dieser Brandkatastrophe entwickelte, ist dennoch bemerkenswert. Im Raum steht der Vorwurf, dass der in den siebziger Jahren erstellte 24-stöckige Wohnblock, in dem vor allem ärmere Menschen, Migranten und Sozialhilfebeziehende lebten, bei der Sanierung vor einigen Jahren aus Kostengründen nicht mit qualitativem Material ausgestattet wurde, sondern fahrlässigerweise mit einer billigen Isolation, die allenfalls nicht den brandschutztechnischen Vorschriften entsprach.

Dies ist umso brisanter, als dass sich der Grenfell Tower nicht in irgendeinem Londoner Stadtkreis befand, sondern im Stadtbezirk Royal Borough of Kensington and Chelsea, nicht nur einer der dichtbesiedelsten und flächenmässig kleinsten Verwaltungseinheit in Grossbritannien, sondern auch einem der reichsten Stadtkreise Englands, ja Europas. Der nach den Wahlen angeschlagenen Premierministerin Theresa May wird zum Vorwurf gemacht, dass sie nach dem Unglück nicht direkt den Kontakt mit den betroffenen Menschen vor Ort gesucht habe. Und es macht der Vorwurf die Runde, dass die Stadtteilregierung von Kensington und Chelsea, immerhin die Besitzerin des Hochhauses, nicht nur aus Kostengründen sich für minderqualitatives Isolationsmaterial ausgesprochen hat, sondern weil ihr die Bevölkerung dieser und anderer Sozialwohnungsbauten mit Blick auf die Stadtentwicklung grundsätzlich ein Dorn im Auge ist.

Es bleibt abzuwarten, was die Untersuchungen ergeben, sowohl in brandschutztechnischer wie auch in politischer Hinsicht. Die nicht nur in England stattfindende Diskussion, wie man mit Menschen umgeht, die nicht ganz der Glitzerwelt, der Steuerkraft und Stadtvermarktungsvorstellungen gewisser Gemeindeverantwortlicher entsprechen, hat auf jeden Fall einen neuen Drall erhalten. In London zumindest klar jenen, dass auch diese Menschen zu unserer Gesellschaft gehören. Und sich die Stärke einer Gesellschaft bekanntlich daran misst, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht.


Nicolas Galladé,
27.6.2017, 116. Jahrgang, Nr. 178.

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