Logo Wandzeitung
Herausgeber: Guido Blumer & Roger Rutz.
Archiv:   Blog:   Echo:   Home:   Kontakt:   Leitbild:   Partner:   Sponsoren:   Twitter

«Wandzeitung» vom 14.12.2017:

Ich gehe davon aus, dass uns die gewaltige Informationsflut allenorts und allzeit voll überfordert:

Das grosse Vergessen trifft uns alle.

Eigentlich ist ja nicht das allpräsente Vergessen ein Problem, sondern die bedrohliche Informationsflut. Jedenfalls ist Vergesslichkeit längst keine Alterserscheinung mehr, viel mehr täglich die grösste Herausforderung für alle denkenden Hirne auf der Erde. Der kluge Kopf von Hans Lohberger denkt, dass das Vergessen die Kunst ist, Bewusstes unbewusst zu machen. Friedrich Luft geht davon aus – dass sein Name Programm ist – beziehungsweise die wohlfeilste Methode, seine Vergangenheit draussen vor der Tür zu bewältigen. Gabriel Marcel fühlt in der Vergesslichkeit ein übler Mangel an Treue und Axel Schnorbus eine Form des Neinsagens. Vergesslichkeit ist auch für Ambrose Bierce ein Thema: Für ihn ist sie ganz banal eine Alterserscheinung, die sich mit Hilfe von Sigmund Freud in eine Jugendsünde verwandeln lässt. Viele überaus kluge Köpfe sind so vergesslich wie hundsgewöhnliche Dummköpfe.

Ende der Siebzigerjahre, gleichzeitig mit dem Wandel der militärischen zur akademischen Forschungsförderung, begann das Wachstum und die weltweite Ausbreitung des Internet: Eine Tauschökonomie für Software und Information, eine graswurzelbasierte Selbstorganisation, sich entwickelnde Communitys und der Hackergeist, der jede Beschränkung des Zugangs und des freien Informationsflusses zu umgehen weiss.

Wir Menschlein gehen tagtäglich mit einer gewaltigen, wenn nicht gewalttätigen Medienflut um, stehen tagtäglich nach der Nachtruhe auf, und schon bedienen uns allpräsente Computer und Handys, Radios und Fernsehen, Zeitungen, voll von neuen spektakulären Geschichten aus aller Welt. Abends sinken wir gut gefüllt mit Informationen wohlgelaunt ins Bett. Vielleicht haben wir uns vor dem Einschlafen noch gefragt, ob wir tagsüber an alles gedacht haben, oder liessen wir eine relevante Geschichte versenken? Kippen wir nach dieser gewaltigen Informationflut erschöpft oder zufrieden zu Bett? Die jüngsten Medienkonsumentinnen und die künftigen Generationen von Daueraufgeklärten werden sicherlich frisch und munter – mit diesem Newsgeist – erwachen und frisch und hurtig aufstehen. Ob die älteren Semester überhaupt noch in der Lage sind, jede News wahrzunehmen beziehungweise jeden Gedankenblitz zu verdauen? Haben wir so grosse Hirnspeicher, dass wir nicht nur die Vergangenheit, die Gegenwart, sondern auch zukünftige Ereignisse mental verdauen können? Perfekt sind wir ja wohl nicht. Ich denke, dass uns die laufende Informationsflut nur dann nicht ertränkt, wenn wir dem Hirn und dem Körper Ruhezeiten gönnen und auch unsere Seele genügend baumeln lassen.

Der langen Rede, kurzer Sinn: Zum Leben gehört der Denkhunger wie die Ruhepause, gehört es, die Seele baumeln zu lassen, die Gelassenheit zu geniessen wie eine Ruhe vor dem Sturm, und für jeden Menschen sogar das Privileg des grossen Vergessens – wenn der Speicher mal so richtig voll ist. Und zuletzt noch dies: Arthur Schopenhauer zum Thema Vergesslichkeit: vergiss sie!


Guido Blumer,
14.12.2017, 116. Jahrgang, Nr. 348.

Artikel als PDF downloaden

Zu diesem Artikel wurde noch kein Standpunkt abgegeben.

 

Veröffentlichen Sie als erste Person Ihren

Standpunkt*:

Name:

*Wir freuen uns sehr über Ihre Gedanken zum Text des Tages, bitten Sie jedoch, keine Personen zu verunglimpfen und deren Haltung mit Respekt zu begegnen. Danke schön. Verstösse gegen unser Leitbild werden indes nicht verbreitet.

 

Winterthurs kleinste Zeitung der Schweiz.