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«Wandzeitung» vom 24.4.2017:

Hören Sie mich, mein letztes Gebet murmeln?

Über die Sicherheit eines Flugzeuges.

Ich leide unter Flugangst. Zum ersten Mal in einem Flugzeug war ich, als ich noch unter zehn Jahre alt war. Ich weiss noch, dass ich beim Einsteigen schrecklich fest geweint habe und beim Aussteigen war der Druckausgleich in meinen Ohren so plötzlich intensiv, dass ich des Schmerzes wegen erneut Tränen verdrücken musste.

Es vergingen Jahre, bis ich wieder einen Flug antrat und beim zweiten Mal trieb mir nicht die Angst vor dem Unbekannten die Tränen in die Augen, sondern die Angst, in die Tiefe zu stürzen. Diese Angst verinnerlichte sich über die Jahre hinweg und ich verpasste sogar einen Strandurlaub in Italien mit meiner Familie, weil ich mich weigerte, in ein Flugzeug zu steigen.

Mittlerweile meistere ich Kurzstreckenflüge wie ein Profi – ein nervöser und übermüdeter Profi mit verschwitzten Händen und weichen Knien – aber trotzdem meisterhaft. Die Nacht vor dem Flug ist meistens das Schlimmste. Bis zum Einschlafen denke ich an verschiedenste Szenarien des Fluges, die zum sicheren Tode führen, und wenn mich der Schlaf endlich holt, so habe ich Albträume, die den Absturz wunderschön verbildlichen. Im Flugzeug selbst bin ich oft überraschend ruhig, solange es zu keinen Turbulenzen kommt. Sobald der Flug aber auch nur etwas rumplig wird, hören Sie mich in meinem Sitz mein letztes Gebet murmeln.

Jedes Mal, wenn meine Flugangst zu sprechen kommt, wird mir von meinem äusserst schlauen Gegenüber immer derselbe Spruch unterbreitet: «Das Flugzeug ist das sicherste Verkehrsmittel überhaupt.» Auch bekannt als: «Deine Angst ist völlig irrational, reiss dich zusammen.» Vorauf hin ich immer mit unschätzbarer – und überhaupt nicht vor Sarkasmus triefender – Dankbarkeit antworte: «Unglaublich! Du hast mich geheilt! Mit nur einem Satz, wow. Wir müssen sofort einen mindestens zehn Stunden langen Flug antreten, um meine Genesung zu feiern!» Und übrigens: Auch die Anmerkung, dass ich vorher bei einem Autounfall kläglich ums Leben komme, bevor ich einen Flugzeugabsturz erlebe, beruhigt meine Nerven nicht sonderlich. Das Argument, dass ich viel wahrscheinlicher in einer Alltagssituation sterben werde, hilft betreffend meiner Flugangst nicht das kleinste bisschen. Jetzt habe ich einfach noch mehr Bedenken, wenn ich in ein Auto steige, danke dafür.

Denn es ist so, geschätzte Freunde, Bekannte, oder sonstige Besserwisser, welche mir über den Weg kommen; mir ist bewusst, dass das Flugzeug ein sehr sicheres Transportmittel darstellt. Meine Angst vor dem Absturz ist dadurch aber noch lange nicht geheilt. Wenn ich dann mal in einem abstürzenden Flugzeug sitze, kann ich noch lange schreien: «Aber das ist doch das sicherste Verkehrsmittel!», das wird mir dann auch nicht weiterhelfen.

Nun, wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Vielleicht trete ich tatsächlich mal einen Langstreckenflug an. Vielleicht reise ich aber auch einfach weiterhin nur in Europa rum. Ich werde es Ihnen zumindest mitteilen, wenn der Kommentar bezüglich der Sicherheit eines Flugzeuges doch noch meine irrationale Angst vor dem Fliegen heilt.


Nicole Langhart,
24.4.2017, 116. Jahrgang, Nr. 114.

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