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«Wandzeitung» vom 10.6.2017:

Eine diskussionswürdige Nobelpreisvergabe:

Franca Rame und Dario Fo.

Jährlich erscheinen allein in Deutschland über 70 000 neue Bücher; aber was davon ist tatsächlich lesenswert? Man könnte meinen, dass beispielsweise die Vergabe des Literaturnobelpreises ein Indiz für hohe Qualität sei. Freilich musste ich beim Lesen zahlreicher Werke resigniert feststellen, dass offenbar gerade die Nobelpreiszuerkennung in den meisten Fällen ein Garant für besondere Fadesse und/oder Tristesse der Lektüre darstellt (Patrick Modiano: „Ein Stammbaum“!). Für eine erfreuliche Ausnahme halte ich allerdings den Italiener Dario Fo.

Fos Biographie liest sich in ihren Anfängen wie die eines typischen Verlierers: Er brach sein Kunststudium ab, gab seinen Job als Architekt auf, seine ersten Stücke wurden verboten. Seine Frau Franca Rame war es, die ihn, als er die Nase vom Theater voll hatte und auch beim Film wenig Chancen sah, ermutigte, es noch einmal zu versuchen. Das Studium unzähliger Rollenbücher und Szenarien aus dem 19. Jahrhundert, die aus dem von Rame quasi als Mitgift in die Ehe gebrachten Fundus von Stücken des Wandertheaters ihrer Familie stammen, inspirierte ihn zu einer Serie von Farcen, die für ihn den Durchbruch als Theaterautor bedeuteten. So begann eine Karriere, die zu Meisterwerken wie „Mistero buffo“ oder „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ führte und ihren Gipfel in der Zuerkennung des Nobelpreises im Jahr 1997 fand.

Fo und Rame, beide auch politische Aktivisten des linken Lagers, hatten ständig Probleme mit der Macht, die sie, wie es in der Begründung für die Nobelpreisvergabe heisst, in Nachfolge der mittelalterlichen Gaukler geisselten: TV-Auftrittsverbote, Prozesse, Verhaftungen, Verweigerung der Einreise in die USA. 1973 wurde Rame entführt, misshandelt und vergewaltigt, wobei sich zwei Jahrzehnte später herausstellte, dass Geheimdienste und Polizei in die Entführung verwickelt waren, die Rame in ihrem Monolog „Die Vergewaltigung“ thematisierte. Aufgrund der Verjährung entgingen die Täter der Verurteilung.

„Zusammen mit dieser Frau habe ich den Nobelpreis gewonnen“, beteuerte Fo, „ohne sie hätte ich ihn nie bekommen.“ Franca Rame spielte nicht nur die Hauptrolle in seinen Stücken, sie erledigte die Organisation, erarbeitete die Bühnenmanuskripte, kümmerte sich um die Verlage. Nach Ansicht von Kennern hatte sie am Werk genauso grossen Anteil wie Fo, da es kein Stück gebe, an dem sie nicht massgeblich mitgearbeitet habe, und sie bei den grossen Frauenstücken (z.B. „Offene Zweierbeziehung“, „Nur Kinder, Küche, Kirche“) sogar die Hauptautorin gewesen sei.

Im Stück „Die dicke Frau“ schilderte Rame selbstironisch in der Rolle der Gattin eines nobelpreisverdächtigen Forschers, wie sie dreissig Jahre ihres Lebens den Sockel für das Monument ihres Mannes gebildet habe, Texte geschrieben habe, die unter seinem Namen gedruckt worden seien. „Ihr wisst ja, warum Frauen so selten mal den Nobelpreis bekommen? Weil ihnen die Ehefrau fehlt, die dabei hilft.“

Erst viermal wurde der Literaturnobelpreis zwischen zwei Personen aufgeteilt; es ist bedauerlich, dass dies bei Fo und Rame nicht erfolgte.

 


Herbert Danzer,
10.6.2017, 116. Jahrgang, Nr. 161.

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