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«Wandzeitung» vom 2.5.2018:

Alltägliches:

Tagträume.

Zusammen gekauert arbeite ich mich vorsichtig an zarten Erdbeerpflänzchen vorbei. Das fiese, unbenannte Unkraut, das der Beerenpflanze so ähnlich sieht, wächst nahe an den Nachbarwurzeln und klaut diesem die Energie. Keine Ahnung was der für Blüten hätte, ich pack ihn bevor er sich noch mehr ausbreitet. Jäten ist Erholung für meine Seele, aber körperlich verlangt es mir viel ab. Heute fliegen meine Tagträume wie Seifenblasen davon. Genau so leicht sind sie zerplatzt. Insgeheim träum ich nämlich von einem Mehrgenerationenhaus. Jeder mit eigener Haustür und viel Grün rundherum. Zusammen leben und doch eigenständig selbstbestimmt. Ich hab nur einem Menschen davon erzählt, ich will meine Familie nicht überfordern damit. Es ist eine Idee, wenn sie wachsen soll, muss sie es von allen Seiten gleichzeitig tun, bis wir zusammen finden.

Ich denke an meinen unkomplizierten Fischauflauf im Ofen. Ganz sicher vergesse ich beim Jäten wieder die Zeit. Ich hantiere also mit der Stechgabel und schaue in die Morgensonne einem Nachbarhaus zu. Bei einem Spaziergang mit dem Kinderwagen, sah ich das Schild an der Fassade hängen. Zu verkaufen, 5.5-Zimmerhaus. Neugierig schaute ich mir daheim die Internetbilder an. Der stolze Preis von 680 000 haute mich aus den Socken und machte mich noch interessierter, hinter die Mauern zu schauen und zu sehen, was diesen Preis rechtfertigt. Ich erzählte meinem Mann davon und wir schlichen rund ums besagte Haus.

Wir sahen Potential, aber auch Ecken und Kanten. Mutig machten wir dann einen Maklertermin. Staunend gingen wir durch zahlreiche, winzig kleine Räume. Wir sahen schmucke Winkel und liebevoll gestaltete Details. Der Dachboden ist ausgebaut und hat noch weitere Nischen. Trotzdem ist es für mich beengend und ich sähe darin eine glückliche Einzelgängerin. Wenn man sich auch Zeit lassen würde um Küche und Bad zu modernisieren, die Aussenhülle muss dringend saniert und die Garage stabilisiert werden. Der kleine Garten gehört zum grössten Teil anderen, was es auch nicht einfacher macht. Die Grenzen ums Haus müsste man sichtbar ziehen.

Ich kehre gedanklich in die Gegenwart zurück. Mein Nachbar schaut mir heimlich zu und ich bin froh, dass er mich nicht massregelt, was ich stehen lassen soll. Der alte Mann ist einfach nur dankbar, dass ich ihm ungefragt helfe. Wenn sein Garten ordentlich ist, geht es meinem eigenen auch gut. Mit schwerem Herzen hab ich dem Makler abgesagt und es mit einem einfühlsamen Schreiben begründet. Ich hoffe, dass der Eigentümer seinen Kaufpreis überdenkt und er bald einen Käufer findet, der das charmante Häuslein wieder zum Leben erweckt, ohne sein zauberhaftes Wesen zu zerstören. Eigentlich will ich ja gar nicht wechseln, es gefällt mir sehr gut in unserem Haus. Aber Träume sollte man ja nicht immer nur träumen. Und wenn sich eine Gelegenheit bietet ... Nun ist es Mittag und der Garten ist in Schuss. Ich schliesse die Tür auf, ein unwiderstehlicher Duft von meinem Auflauf zieht durch alle Räume. Ich lächle und begrüsse meinen Mann mit einem Kuss.


Momo Appenzeller,
2.5.2018, 117. Jahrgang, Nr. 122.

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