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«Wandzeitung» vom 28.6.2018:

Ist Gott wirklich am grössten?

„Allahu akbar!“

Dies rufen manchmal Attentäter aus der islamistischen Terrorszene und begehen damit einen Missbrauch des Namens Gottes, eine schwere Sünde. Ebenso haben Christen Hexen im Namen Gottes verbrannt. Auch für die Rassentrennung in Südafrika, die Apartheit, haben die Weissen den Willen Gottes bemüht – alles himmelschreiende Missbräuche des Namens Gottes. „Allahu akbar“ heisst „Gott ist gross“ oder „Gott ist am grössten“. Diese muslimische Kurzformel des Glaubens ist im Grunde ein Bekenntnis, das der Islam mit allen monotheistischen Religionen teilt. Und alle diese Religionen kennen Zeiten und Gebote, durch die ihre Gläubigen herausgefordert werden, lebendig zu bezeugen (und für sich zu erproben), dass Gott für sie wirklich „am grössten“ ist.

Am 15. Juni ist dieses Jahr der Fastenmonat Ramadan zu Ende gegangen, der am 16. Mai begonnen hat. Er ist wahrscheinlich der weltweit eindrücklichste „Test“ und „Beweis“ von „Allahu akbar“. Weil bei uns die jährlich wiederkehrende islamische Fastenzeit auf viel Unverständnis und spöttische Ablehnung stösst, versuche ich dieses unglaubliche Phänomen hier verständlich zu machen. (Ich habe 20 Jahre fast ausschliesslich Religion an verschiedensten Schulen unterrichtet, bin also geübt im Religion-Erklären.)

Im Ramadan geht es darum, auf die vitalen Grundbedürfnisse von Essen und Trinken (aber auch Rauchen und Sex) einen Mondmonat lang vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang freiwillig zu verzichten – ein Verhalten, das so gegen das natürliche Streben gerichtet ist, dass es Aussenstehenden nicht nur als „andersartig“, sondern oft als „abartig“ erscheint. Dabei wird – allerdings während einer „hard-core“-Dauer von 28 oder 29 Tagen – eigentlich nur „Gott ist am grössten“ gelebt und existentiell erprobt. Bevorzugt wird man eine solch aussergewöhnliche Zeit mit viel Gemeinschaftskontakt verbringen; denn diese zunächst unnatürliche, aber übernatürlich begründete Enthaltsamkeit braucht viel Ermutigung durch die Community. Wer den Ramadan einhält und durchsteht, hat bestimmt sowohl den eigenen Glauben gestärkt als auch eine grundlegende Erfahrung der Freiheit gemacht, die unser biologisches Verlangen beherrschen kann.

Im Judentum – der monotheistischen „Basisreligion“ für Christentum und Islam – gibt es seit bald 3000 Jahren die „Erfindung“ des Sabbat. Ein Tag auf sieben darf nicht gearbeitet werden, ist jede Existenzsicherung verboten – für vernünftige Wahrnehmung zunächst ein Wahnsinn, geradezu bedrohlich in Bezug auf den Überlebensdrang (weil beutefrei!) und in den Augen von Ungläubigen letztlich absurd. Der Sabbat ist ein „Sinn-Tag“, der Gott gemeinschaftlich 24 Stunden lang den Vorrang gibt und so den Glauben wöchentlich auf die Probe und unter Beweis stellt.

Ich bin überzeugt: Zeiten, in denen sich der Mensch aus freiem Willen von Haftungen an Irdisches löst und sich für die Verbindung „nach innen und oben“ öffnet, sind etwas sehr Heiliges und etwas dem Menschen – der eben nicht nur ein „Erdling“ ist – Entsprechendes, daher auch Wohltuendes.


Hugo Gehring,
28.6.2018, 117. Jahrgang, Nr. 179.

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