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«Wandzeitung» vom 27.6.2018:

Der Fussball hat etwas Verbindendes:

Expertise aus Erfahrung.

Der Fussball hat etwas Verbindendes. Dies gilt im Speziellen während der Fussball-WM. An jedem Ort auf der Welt wird mitgefiebert, mitdiskutiert. Alle haben eine Meinung und sind Experten. Zumindest selbsternannte. Wobei auch hier sich zeigt: Expertinnen und Experten zeichnen sich dadurch aus, dass sie viel Erfahrung im Thema mitbringen.

Ähnlich wie mit den Fussballweltmeisterschaften verhält es sich mit der Diskussion um die Sozialhilfe in der Schweiz. Alle vier Jahre wird die gleiche Diskussion wieder neu geführt. Komplexe Dinge werden anschaulich auf den Punkt gebracht: „Wir müssen die Leistungen kürzen, um die steigenden Kosten zu reduzieren“. Oder: „Je geringer der Grundbedarf bei der Sozialhilfe, desto grösser der Druck, sich wieder um eine Beschäftigung zu bemühen.“

Dass etwa der Grundbedarf, der für einen Sozialhilfebeziehenden bei monatlich 986 Franken liegt, in den letzten Jahren nicht zugenommen hat, wird nicht erwähnt. Dass es also neben steigenden Fallzahlen vor allem steigende Mietkosten und Krankenkassenprämien sind, die den Kostenanstieg erklären, wird verschwiegen. Ebenso, dass die Sozialhilfe mit weniger als zwei Prozent der Gesamtausgaben am sozialen Sicherungssystem einen eher geringen, aber sehr wirksamen Teil ausmacht. Und dass Menschen die Anforderungen des Arbeitsmarktes nicht erfüllen, ist eine Realität, die zwar jeder im Alltag und aus seinem Umfeld kennt – aber kaum jemals im Kontext mit der Gleichung „mehr Druck führt zu mehr Arbeitsintegration“ berücksichtigt wird.

Dass die Diskussionen um die Sozialhilfe meist nicht einmal die halbe Wahrheit abbilden, hat aber auch mit den Akteuren zu tun. Denn nach wie vor gilt die Faustregel: Je grösser die Gemeinde, desto höher die Sozialhilfequote. Städte und Gemeinden mit Zentrumsfunktionen erbringen also nicht nur einen Grossteil der Leistungen zur Armutsbekämpfung und erfolgreichen Integration von Menschen, häufig Familien mit Kindern, die nicht auf der Sonnenseite leben. Sondern sie verfügen dadurch auch über viel Erfahrung und Expertise. So präsentierte der Tages-Anzeiger kürzlich eine Gruppe von „prominenten SVP-Mitgliedern“, die an einem Plan arbeiten, „um die Sozialhilfe zu reformieren“.

Treibende Kraft dahinter ist Ulrich Schlüer. Auf den die Bezeichnung „prominent“ zweifelsohne zutrifft. Dass er auch über einen reichen Erfahrungsschatz im Bereich der Sozialhilfe verfügt, kann der Tages-Anzeiger dagegen als echten Newswert verbuchen. Es werden Fallbeispiele aus seiner Zeit als Gemeindepräsident von Flaach angeführt. Die statistischen Daten aus jener Zeit – 1994 bis 1998 – waren im Internet auf die Schnelle nicht zugänglich. Es ist aber davon auszugehen, dass die Mengengerüste sich über die Jahre nicht wesentlich verändert haben. 2015 hatte Flaach eine Sozialhilfequote von 0,4 %. Das würde bei 1357 Einwohnerinnen und Einwohnern in etwa ein halbes Dutzend Fälle ausmachen.

Das sind sicherlich interessante Einzelfälle – ob sie als Erfahrungshintergrund die beste Voraussetzung sind, um die Sozialhilfe zu reformieren, bleibt jedoch mehr als fraglich.


Nicolas Galladé,
27.6.2018, 117. Jahrgang, Nr. 178.

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