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«Wandzeitung» vom 28.7.2018:

Übertriebene Selbstoptimierung:

Ich optimiere also bin ich?

Übertriebene Selbstoptimierung, sowas kann mir nicht passieren. Immer noch ohne Messarmband unterwegs, zähle ich weder meine Schritte noch Kalorien (zugegebenen, bei letzterem kommt eine ungefähre Schätzrechnung manchmal vor). Aufgrund meiner (vermutlich angeborenen) Abneigung gegenüber zu viel grammatikalischer Korrektheit werde ich auch nie einen fehlerfreien Text abliefern. Schusselig wie ich bin, kann ich die Flecken auf meinen Kleidern am Abend verlässlich als Tagesrückblick nutzen. Meine Versuche, morgens früher aufzustehen, um mit Fitnessübungen oder anderen körperlichen Ertüchtigungen in den Tag zu starten, sind jeweils spätestens an der Snooze-Funktion des Weckers gescheitert.

Vielleicht gerade aufgrund meiner eigenen Unfähigkeit zur Selbstdisziplinierung üben Leute, welche diese perfektioniert haben, eine gewisse Faszination auf mich aus. Dass es möglich ist, eigene Diät- und Abnehmpläne nicht spätestens beim nächsten guten Abendessen über den Haufen zu werfen, lässt mich staunen. Aus diesem Grund wohl habe ich vor ein paar Tagen mit grossem Interesse einen Artikel über den zunehmenden Drang zur Selbstoptimierung gelesen. Darin wurden neben wissenschaftlichen, medizinischen und gesellschaftlichen Fakten die Geschichte einer 17-jährigen Schülerin und eines ehemaligen Top-Managers erzählt, die an der eigenen Perfektionierung irgendwann ausgebrannt sind.

Während ich mir beim Lesen anfänglich weiterhin einrede, dass mir sowas sicher nicht passieren kann (die Gründe sind oben bereits ausgeführt), so beschleichen mich mit fortschreitender Lektüre zunehmende Zweifel. So kommen mir gewisse beschriebenen Verhaltensweisen durchaus bekannt vor. Wie viele Male habe ich mir während den letzten fünf Jahren Studium nicht auch gedacht, dass die Note einer Prüfung noch viel besser hätte sein können, hätte ich diese Kleinigkeit noch beachtet, früher mit Lernen begonnen, oder mich einfach etwas mehr konzentriert? Habe ich nicht gerade in den letzten Monaten während dem Schreiben meiner Masterarbeit nicht auch meine Freundschaften sträflich vernachlässigt? Und dass ich mir ab und zu denke, ein bisschen mehr Disziplin beim Sport wäre doch nicht so schwer, kann ich nicht verleumden.

In Gedanken und von zunehmenden Selbstzweifeln, ob ich nicht auch zu der zunehmenden Masse der Selbstoptimierungsgetriebenen gehören könnte, fällt mir plötzlich ein, dass ich vor vier Stunden meinen Artikel für die Wandzeitung hätte verschicken sollen. Die leise schimpfende Stimme, die mir vorhält, schon wieder nicht pünktlich einen Artikel abgeschickt zu haben, wird übertönt von einer wohltuenden Entspannung und der Sicherheit, dass mich meine Vergesslichkeit und Unaufmerksamkeit davon abhalten wird, mögliche Selbstperfektionierungen zu weit zu treiben.


Maria Sorgo,
28.7.2018, 117. Jahrgang, Nr. 209.

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